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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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gut für dich wäre.«
    »Und er hatte recht«, sagte Ah Fatt. »War nicht gut für mich.«

    »Warum? Was hast du gemacht?«
    »Raubüberfall. Hab Raub gemacht.«
    »Wann? Wo?«
    Ah Fatt drehte sich weg und verbarg sein Gesicht. »Andermal«, sagte er mit erstickter Stimme. »Nicht jetzt.«

    Der Aufruhr des Meers hatte verhängnisvolle Auswirkungen auf Babu Nob Kissins Verdauung, und es vergingen viele Tage, bis er wieder in der Lage war, sich aus der Mittschiffskajüte aufs Hauptdeck zu schleppen. Doch als er endlich wieder an die frische Luft trat und die Feuchtigkeit der See auf dem Gesicht spürte, begriff er, dass die vielen Tage der Benommenheit, des Durchfalls und des Erbrechens die notwendige Leidensphase vor dem Augenblick der Erleuchtung gewesen waren. Er brauchte nur den Sprühnebel zu sehen, der von der Bugwelle des Schoners aufstieg, um zu erkennen, dass die Ibis anders war als alle anderen Schiffe. In ihrer innersten Wirklichkeit war sie ein Vehikel der Verwandlung, das durch die Nebel der Illusion dem entrückten, sich stets weiter entfernenden Land namens Wahrheit entgegensteuerte.
    Nirgends trat diese Verwandlung deutlicher in Erscheinung als bei ihm selbst, denn Taramony war jetzt in ihm so offenkundig anwesend, dass sein äußerer Körper sich mehr und mehr wie die Hülle eines Kokons anfühlte, die alsbald von dem neuen Wesen, das in ihm heranwuchs, abfallen sollte. Jeder Tag brachte irgendein neues Zeichen der zunehmenden Fülle der weiblichen Gegenwart in ihm – beispielsweise seinen wachsenden Abscheu vor der Grobheit der Mistris und Silahdars, mit denen er gezwungenermaßen leben musste. Wenn er sie von Brüsten oder Hinterteilen reden hörte, war es, als würde sein eigener Körper durchgehechelt und verspottet;
manchmal hatte er ein so übermächtiges Verlangen, sich zu verhüllen, dass er sich ein Laken über den Kopf zog. Auch seine mütterlichen Regungen waren inzwischen so ausgeprägt, dass er nicht mehr über das Deck gehen konnte, ohne eine Zeit lang an der Stelle zu verharren, die über der Sträflingszelle lag.
    Diese unübersehbare Neigung trug ihm so manchen Fluch von den Laskaren und die eine oder andere Zurechtweisung von Serang Ali ein: »Vor was hier steh wie Kakerlak? Zu dumm in Kopf Mann – nie nix gut Zweck.«
    Mr. Crowle äußerte sich noch unzweideutiger: »Pander, Sie versoffener Schwanzlutscher! Müssen Sie ständig hier herumlungern, wo wir doch das ganze Firmament über uns haben? Wissen Sie was, Pander: Wenn ich Sie noch einmal hier erwische, ziehe ich Ihnen einen zweiten Scheitel in den Arsch.«
    Diesen Angriffen auf seine Würde versuchte der Gumashta stets mit der Gelassenheit einer Königin zu begegnen. »Sir, ich finde Ihre überschwänglichen Äußerungen bedauernswert. Keine Notwendigkeit für schmutzige Bemerkungen. Warum ständig Sie schauen böse und kritisieren? Bin nur gekommen für Luft schnappen und erfrischen. Wenn Sie geschäftig, Sie nicht müssen ungebührliche Aufmerksamkeit zollen.«
    Doch seine häufige Gegenwart an Deck ging nicht nur den Seeleuten auf die Nerven, sondern brachte wegen der zwar großen, aber nicht vollkommenen Nähe auch Taramony gegen ihn auf, deren Stimme jetzt oft in seinem Kopf war und ihn drängte, in die Sträflingszelle selbst vorzudringen, um sie ihrem Adoptivsohn näher zu bringen. Diese Forderungen provozierten einen heillosen Konflikt zwischen der sich entwickelnden Mutter, die ihr Kind trösten wollte, und dem Teil
von Babu Nob Kissin, der nach wie vor ein weltlicher Gumashta war und sich als solcher nicht über die selbstverständlichen Gebote von Anstand und Schicklichkeit hinwegsetzen mochte.
    »Aber ich kann doch nicht einfach da hinuntergehen«, protestierte er jedes Mal. »Was werden da die anderen denken?«
    »Was kümmert dich das?«, erwiderte sie dann. »Du kannst tun, was dir beliebt. Bist du denn nicht der Supercargo dieses Schiffes?«
    Es ließ sich nicht leugnen, dass Babu Nob Kissin einer der wenigen Menschen auf der Ibis war, die Zutritt zu jedem Teil des Schiffes hatten. Als Supercargo hatte er häufig Dinge mit dem Kapitän zu besprechen und begab sich oft in den Offiziersbereich, wo er manchmal an Zacharys Tür lauschte in der Hoffnung, wieder einmal seine Flöte zu hören. In seiner offiziellen Funktion war er von Mr. Burnham auch ermächtigt worden, die anderen Teile des Schiffes zu inspizieren, und verfügte sogar über einen Reserveschlüssel für die Sträflingszelle.
    Dies alles war

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