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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Taramony bekannt, und im Lauf der Zeit dämmerte es Babu Nob Kissin, dass er, wenn ihm daran lag, dass sie sich je in ihm manifestierte, jeden Aspekt ihres Wesens annehmen musste einschließlich ihrer Fähigkeit zu mütterlicher Liebe. Es half alles nichts: Er würde einen Weg in die Zelle finden müssen.

    Wie ein Tier, das in sein natürliches Element zurückkehrt, segelte die Ibis vor raumem Wind immer ausgelassener auf dem offenen Meer dahin. Der Schoner befand sich seit einer Woche im Golf von Bengalen, als Paulette eines Nachmittags von ihrer Wäscherei an Deck aufschaute und sah, dass der Himmel von einem strahlenden Blau war, noch vertieft durch einzelne weiße Wolken, Spiegelbilder der Wellenkämme. Der
Wind blies kräftig, Wogen und Wolken schienen einander über ein einziges weites Firmament zu jagen, verfolgt von dem Schoner, dessen Spanten von der Anstrengung ächzten. Es war, als hätte die offene See ihren eigenen Willen, ihr eigenes Leben auf das Schiff übertragen.
    Paulette beugte sich über das Schanzkleid und ließ vorsichtig ihren Eimer an einem Tau hinab, um Wasser zu schöpfen. Als sie ihn wieder hochzog, schnellte ein Fliegender Fisch aus den Wellen, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Sein Schwirren ließ Paulette auflachen, sie fuhr zusammen und stieß dabei den Eimer um, sodass sich das Wasser teils über sie selbst, teils auf das Deck ergoss. Erschrocken fiel sie auf die Knie und wischte es durch das Speigatt hinab, als hinter ihr eine Stimme gebieterisch rief: »Du da – ja, du!«
    Es war Mr. Crowle, und zu Paulettes großer Erleichterung hatte sein Ruf nicht ihr gegolten, sondern jemand anderem. Sein Ton war der, den er gewöhnlich den niedersten Laskaren gegenüber anschlug, und so nahm Paulette an, dass irgendein unglücklicher Junge oder sonst ein armer Kerl gemeint war. Das war jedoch nicht der Fall. Als sie nach achtern schaute, sah sie, dass Zachary in dieser Weise angeredet worden war. Seine Wache war beendet, und er ging über das Achterdeck zu seiner Kabine. »Meinen Sie mich, Mr. Crowle?«, fragte er und lief rot an.
    »So ist es.«
    »Was gibt’s?«
    »Was ist denn das da für ein Saustall? Haben Sie auf Ihrer Wache gepennt, oder was?«
    »Wovon reden Sie, Mr. Crowle?«
    »Kommen Sie und schauen Sie sich’s verflucht noch mal selber an.«
    Es war Essenszeit, und auf Deck herrschte der übliche
Lärm: Dutzende von Girmitiyas, Aufsehern, Laskaren und Bhandaris redeten und drängelten durcheinander und debattierten über das Essen. Doch der Wortwechsel der beiden Steuermänner setzte dem Tumult schlagartig ein Ende. Die Feindseligkeit zwischen den Malums war für niemanden ein Geheimnis, und aller Augen folgten Zachary zum Bug.
    »Was stimmt denn nicht, Mr. Crowle?«, fragte er, als er zum Backdeck hinaufstieg.
    »Sagen Sie’s mir.« Der Erste Steuermann zeigte nach vorn, und Zachary beugte sich über den Bug. »Haben Sie keine Augen im Kopf, Mann? Muss man’s Ihnen extra erklären?«
    »Ich sehe, was das Problem ist, Mr. Crowle.« Zachary richtete sich wieder auf. »Der Bugsprietlaufring hat sich gelöst, und Klüver und Stampfstag sind unklar gekommen. Kann mir nicht vorstellen, wie das passiert ist, aber ich bring’s in Ordnung.«
    Zachary begann sich die Ärmel hochzukrempeln, doch Mr. Crowle gebot ihm Einhalt. »Nicht Ihre Aufgabe, Reid. Steht Ihnen auch nicht zu, mir zu sagen, wie das in Ordnung gebracht werden muss. Oder von wem.«
    Der Erste Steuermann drehte sich nach achtern, beschattete die Augen mit der Hand und ließ den Blick über das Schiff schweifen, heftig blinzelnd, als suchte er jemand Bestimmten. Dann erspähte er Jodu, der in der Saling des Fockmasts faulenzte. »Du da, Sammy!« Er beorderte Jodu mit gekrümmtem Zeigefinger zu sich.
    »Sir?« Jodu schreckte hoch und zeigte, um Bestätigung heischend, auf sich selbst.
    »Ja, du! Los, beweg dich, Sammy!«
    »Sir!«
    Während Jodu herabkletterte, erhob Zachary Einwände. »Er wird sich nur wehtun, Mr. Crowle. Er ist ein einfacher Matrose …«

    »Nicht so einfach, dass er Sie nicht aus dem Wasser fischen könnte. Wollen mal sehen, wie er mit dem Klüverbaum klarkommt.«
    Paulette bekam es mit der Angst zu tun, sie bahnte sich mit den Ellenbogen einen Weg zum Vorschiff, wo viele der Auswanderer beieinanderstanden, und suchte sich einen Platz, von dem aus sie sehen konnte, wie Jodu über der wogenden See auf das Bugspriet hinauskletterte. Bis jetzt hatte sie nicht weiter auf die Konstruktion des

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