Das Mond-Monster
sich jetzt, nicht die Straße genommen zu haben. Aber dieser Weg war um einen halben Kilometer kürzer. Allerdings auch beschwerlicher zu laufen.
Die Häuser von Gileston sah sie bereits. Natürlich nicht wie am Tage, sondern wie eine Dekoration, die aus schwarzer Pappe zurechtgeschnitten und in die Landschaft gestellt worden war, wobei jemand noch einen leicht silbrigen Puder auf die Dächer gestreut hatte, denn so leuchtete das Mondlicht die Häuser an.
Helen war schon näher an den Ort herangekommen. In der Dunkelheit merkte sie es kaum. Da hatte sie vielmehr das Gefühl, dass die Distanz gleich blieb. Mehr als einmal ballte sie die Hände, um sich zum Durchhalten zu zwingen.
In ihrem Job hatte Helen eine starke Persönlichkeit sein müssen. Das war sie auch bis zum Zusammenbruch der New Economy gewesen. Jetzt versuchte sie, wieder etwas von dieser Kraft zurückzuholen. Anders ging es einfach nicht, um die ängstlichen Gedanken und Vorstellungen zu überbrücken.
Sie blickte nicht nach links und rechts. Den Kopf hielt sie gesenkt. Helen interessierte sich nur für den Boden und dessen Fallen.
Plötzlich huschten Schatten an ihr vorbei. Sie hörte auch die leisen Geräusche, als kleine Füße heftig über den Untergrund trippelten. Sie schaute zur Seite und sah mindestens ein Dutzend Hasen in wilder Panik fliehen.
In dieser Gegend gab es Füchse. Und Hasen waren nun mal eine Beute dieser Tiere. In diesem Fall sah sie keinen, der die Hasen gejagt hätte. Und trotzdem fürchteten sie sich.
Vor wem?
Helen blieb stehen. Jetzt merkte sie ihre eigene innere Unruhe noch deutlicher. Es hatte sich äußerlich nichts verändert, und trotzdem war alles anders geworden.
Sie lief, aber nicht mehr mit dem Blick nach unten. Jetzt wollte sie auch sehen, was in ihrer Umgebung passierte.
Die Hasen waren verschwunden. Ob alle ihr Leben hatten retten können, wusste Helen nicht. Es war auch nur ein flüchtiger Gedanke, denn vor ihr bewegte sich etwas anderes. Es irritierte sie so stark, dass sie langsamer ging und schließlich schwer atmend stehen blieb.
Da war jemand!
Vor ihr!
Ein Mensch?
Helen Cross fürchtete sich davor, in dieser Einsamkeit einem Menschen zu begegnen. Es gab keinen rationalen Grund, dennoch hatte sie Angst. Es lag an der Erinnerung an das Verschwinden der vier anderen Frauen und sie dachte auch daran, was ihr die Wahrsagerin erklärt hatte. Die Zukunft sah nicht gut aus. Was sie hier sah, das gehörte einfach zur Zukunft dazu.
Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Helen traute sich nicht, weiterzugehen. Sie starrte nach vorn und versuchte, Einzelheiten zu erkennen, was nur schwerlich möglich war, denn die Luft war nicht mehr so klar, wie sie es sich gewünscht hätte. Sie wurde von einem Schleier durchweht. Es war der plötzliche Dunst, der von irgendwoher gekommen war. Er umwaberte auch den Gegenstand, der vor Helen stand und sich nicht mehr bewegte.
Nach einer Weile hatte sich Helen so weit gefangen, dass sie in der Lage war, einen Arm zu bewegen. Sie hob ihn an und wischte mit ihrer Hand über die schweißnass gewordene Stirn. Es konnte alles sein. Ein Strauch, eine Vogelscheuche, die irgendein Typ aufgestellt hatte, um andere Menschen zu erschrecken.
Aber auch ein Mensch!
Gedanken ließen sich nicht mehr in Bahnen lenken. Sie traute sich auch nicht näher an die Gestalt heran – bis die sich plötzlich bewegte. Helen, die sehr genau hinschaute, erkannte, dass sich der Gegenstand reckte. Er hob beide Arme an und dort, wo sich sein Kopf befand, entstand ein blasses, leicht gelbliches und auch unheimliches Leuchten, das sich nur auf den Kopf beschränkte. Es drang aus irgendwelchen Öffnungen und es besaß Ähnlichkeit mit den Strahlen des Mondes.
Etwas Kaltes floss ihren Rücken hinab wie Bachwasser. Sie hatte sich verkrampft, sie riss zudem den Mund auf, als könnte ein Schrei die Erlösung bringen und den unheimlichen Besucher erschrecken.
Auch das war ihr nicht möglich.
Nicht mal ein Krächzen verließ ihre Kehle. Aber sie dachte wieder an die Warnung, ohne es zu wollen. Das war die Zukunft. Dieses verdammte Gebilde. So also sah sie aus. Schrecklich und mit einem leuchtenden Schädel, der sie tatsächlich an einen Halloween-Kürbis erinnerte.
Mit einer abgehackt anmutenden Bewegung hob die Gestalt ihren rechten Arm. Als er sich aus der Nähe des Körpers löste, sah Helen, dass die Hand etwas umschlossen hielt. Es war der Griff eines glänzenden Gegenstands, der aussah wie ein
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