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Das Monopol

Titel: Das Monopol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Kublicki
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sie jetzt auf dieser schwarzen Gummiinsel, ohne Motor, Licht, Heizung, Wasser oder Nahrung. Aber sie waren in Sicherheit. Für den Augenblick.
    Der Augenblick währte nicht lange.
    Traubengroße, gefrorene Regentropfen peitschten die Gesichter der Schiffbrüchigen. Der Regen erstickte alle anderen Geräusche, und die Sicht war gleich null. Deshalb sah keiner, dass kaum zehn Meter entfernt ein gewaltiger schwarzer Schatten aus dem Meer auftauchte. Wie ein Ungeheuer aus der Tiefe schob er sich höher und höher, bis er das überladene Gummiboot um fünfzehn Meter überragte. Hätte einer von ihnen hingeschaut, wären ihm bestimmt die großen weißen Buchstaben am Rumpf aufgefallen: Sie lauteten »SSN 21«.

 
    56.

Unangreifbar
     
    Justizpalast
    Offizio di Guarda di Finanza
    Rom, 10.03 Uhr
     
    Orlando Leonida war Bürgermeister in der Hauptstadt der Cosa Nostra, und als solcher arbeitete er regelmäßig mit dem italienischen Justizministerium und der ihm unterstellten Steuerbehörde zusammen, der Guarda di Finanza (GDF). Doch es war ungewöhnlich, auf welche Art und Weise Leonida seine Arbeit in Angriff nahm. Viele seiner Vorgänger hatten bereitwillig Ruf und Ehre gegen einen Hungerlohn eingetauscht, der ihnen von den Paten gezahlt wurde. Bürgermeister Leonida hingegen hatte sich niemals kaufen oder von Drohungen gegen sein Leben oder seine Familie einschüchtern lassen. Wie Elliot Ness, der berühmte US-Steuerfahnder in den Zwanzigerjahren, konnte man Orlando Leonida mit Drohungen und Bestechung nichts anhaben. Er war unangreifbar. Selbst als 1992 der heldenhafte Kämpfer gegen die Mafia, der sizilianische Richter Giovanni Falcone, von einer Bombe getötet wurde, deren Sprengkraft so groß war, dass die Erschütterung auf Seismographen in ganz Europa registriert wurde, zeigte Leonida sich unbeeindruckt.
    Allmählich zahlte seine Hartnäckigkeit sich aus, und sein Feldzug zeigte erste Wirkung. Die Zeiten änderten sich. Die Geduld nicht nur der Sizilianer, sondern aller Italiener war erschöpft. Nach Jahrzehnten lähmender Apathie begriffen die Menschen, dass die grausamen Morde, die Korruption und die verbrecherischen Geschäfte der Cosa Nostra nicht nur andere Länder ausbluteten, sondern auch ihr geliebtes Italien. Die Wirtschaft wurde ausgesaugt, Italiens großartiges Erbe ging verloren, und den Kindern wurde die Zukunft geraubt. In den Schulen wurden Heroin, Kokain, Ecstasy und andere tödliche Drogen billiger als sonst wo auf der Welt verkauft, da die Mafia die Preise künstlich niedrig hielt. Es war genug!
    Basta!
    Bürgermeister Leonida wurde nicht nur allgemein beliebt, er wurde zum Star und war niemals allein: Ein Soldat der Armee – eine erklärte Feindin der Cosa Nostra – stand mit einer Maschinenpistole im Zimmer Wache, sogar dann, wenn Leonida schlief oder auf die Toilette ging. Der Bürgermeister verließ seine Wohnung nie ohne kugelsichere Weste unter dem teuren Dreireiher. Bombenspürhunde – deutsche Schäferhunde – begleiteten ihn, auch in Gebäuden. Es war ein hoher Preis, den er für seine Sicherheit zahlen musste, doch Leonida war es die Sache wert.
    An diesem Morgen durchbrach strahlender Sonnenschein die bittere Kälte des römischen Winters. Von seinen handverlesenen Soldaten und Schäferhunden eskortiert, schritt Bürgermeister Leonida durch die prächtigen Flure der Guarda di Finanza und betrat das Büro des Direktors.
    Direktor Vittorio Umberto wusste, ein persönlicher Besuch seines Amtsbruders konnte nur eines bedeuten. Umberto war einer der wenigen Regierungsbeamten, die keine Angst davor hatten, das Richtige zu tun. Auch er war unangreifbar – wenngleich er es in Rom leichter hatte als Leonida in Sizilien. Er empfing seinen Kollegen mit offenem Lächeln und ausgebreiteten Armen. »Buon giorno, Orlando.«
    »Buon giorno.«
    Die beiden Männer umarmten einander. Leonida lehnte den angebotenen Platz in einem bequemen Wildledersessel ab und entließ alle seine Leibwächter bis auf einen. Dann entnahm er seiner Aktentasche einen dunkelbraunen Ordner, legte ihn auf Umbertos Schreibtisch und klappte ihn schwungvoll auf.
    »Che cosa? Was ist das?«, fragte Umberto.
    Leonida grinste. »Daran«, er zeigte auf die Papiere, »haben wir geschlagene sechs Monate lang gearbeitet. Eine Liste von fünf Konten bei der römischen Hauptstelle der Banco Napolitana Lucchese. Die Konten laufen auf Arcangelos Namen. Damit können wir ihn endlich vorladen.«
    Umberto betrachtete die Akte und sah dann

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