Das Monopol
doch niemals ohne seine Hilfe finden!
Mühsam zog er einen Kugelschreiber aus der Tasche und riss einen Fetzen aus dem Material, mit dem die Kuppel ausgekleidet war. Stunden, wie ihm schien, verbrachte er mit dem Kritzeln einiger weniger Buchstaben, die er mit seinen getrübten Augen kaum erkennen konnte.
Endlich ließ er Stift und Zettel zu Boden fallen.
Wenn es einen Gott gibt, möge er mir vergeben.
8.
Der Kreml
Moskau, 17.25 Uhr
Aus seinem gut geheizten Amtszimmer in der Stadtburg des Kreml betrachtete der russische Präsident Wassili Illitsch Orlow das winterliche Moskau. Der schwache Schein der untergehenden Sonne warf einen goldenen Schimmer über die gefrorenen Bäume und schneebedeckten Zinnen. Orlow wandte sein von Sorgen gezeichnetes Gesicht vom Fenster ab, griff mit schweren Fingern in ein aufwendig geschmücktes Lackkästchen und holte eine Zigarette heraus. Er zündete sie an, lehnte sich im Sessel zurück und betrachtete sein Büro; der alte Porzellanofen in der Ecke ließ ihn an die Zarenzeit denken.
Die Zarenzeit. Damals hatte es keine Meinungsforscher gegeben, keine Prognosen um Wählerstimmen und auch keine Wahlen. Das Wort des Zaren war Gesetz gewesen. Im heutigen Russland hatte das Gesetz wenig Gewicht. Es war keine Vorschrift mehr, eher eine Regel, die man nach Belieben befolgen konnte – oder auch nicht.
Jemand klopfte laut an die Tür.
»Da.« Orlows Laune besserte sich schlagartig, als er seinen persönlichen Berater hinter der schweren Holztür mit dem reichen Schnitzwerk erblickte. »Wladimir Petrowitsch. Kommen Sie herein! Setzen Sie sich.« Nun lächelte er zum ersten Mal an diesem Tag.
»Ich bringe gute Nachrichten.« Das war dem dürren Mann, der nun zu Orlow kam, auch vom Gesicht abzulesen. »Seit heute Nachmittag hat die Mirnyj-Mine ihre Produktion wieder aufgenommen. Es gab keine allzu großen Schäden, da ja fast sämtliche Gebäude aus Beton sind. Schon bald können sie wieder mit den Lieferungen beginnen. Wie Sie befohlen haben, ist Marschall Aleksakow zum Kommandeur der Östlichen Bodentruppen befördert worden. Er beaufsichtigt den Wiederaufbau und die Errichtung neuer Kasernen.« Die Beförderung war von Orlow persönlich angeordnet worden, denn Marschall Ogarkow, der vorherige Beauftragte, war tot – man hatte ihn vor einer Woche zusammen mit seinem Chauffeur auf dem Moskauer Twerskaja Prospekt in seinem von Kugeln durchsiebten Mercedes gefunden.
»Charascho.« Ausgezeichnet. »Ich hatte mir schon große Sorgen gemacht. Ein Ausfall unseres wichtigsten Diamantenzentrums ausgerechnet während der anstehenden Verhandlungen mit Waterboer wäre verheerend gewesen. Die Südafrikaner rauben uns jetzt schon aus. Das wäre für diesen Bastard Slythe ein ausgezeichneter Vorwand gewesen, uns einen noch geringeren Preis anzubieten als bislang.« Er blies eine Rauchwolke aus. »Wenn doch nur Kowanetz ein wenig Licht in die Angelegenheit um Pjaschinews Verschwinden bringen könnte – dann wären wir in einer viel besseren Verhandlungsposition.«
»Er müsste jeden Moment hier eintreffen.«
Das Verschwinden Leonid Pjaschinews beunruhigte Orlow fast ebenso wie das Feuer in Mirnyj. Da es keine Lösegeldforderungen seitens der mafija gegeben hatte, ergab das Verschwinden des Mannes einfach keinen Sinn. Bereits eine Woche war vergangen, seit seine Familie ihn als vermisst gemeldet hatte. Seitdem hatte keiner mehr von ihm gehört. Wäre Pjaschinew ein ganz normaler Bürger gewesen, hätte sein Verschwinden kein besonderes Aufsehen erregt. Aber Leonid Pjaschinew war kein normaler Bürger. Er war Direktor von Komdragmet, der staatlichen Aufsichtsbehörde über die russische Diamantenindustrie. Sein Verschwinden war eine ernste Sache.
Doch Orlow hätte seine derzeitige Machtstellung niemals erreicht, hätte er nicht jede Krise auch als Chance genutzt. Viele russische Wirtschaftszweige hatte er den »Oligarchen« – der immer noch mächtigen Polit- und Wirtschaftselite früherer Zeiten – bereits entrissen, und so sollte der Kreml auch die Kontrolle über Diamanten, andere Schmucksteine und die Metallindustrie übernehmen. Bis jetzt war das politisch riskant gewesen, denn diese Unternehmen waren die letzten wahren Einnahmequellen der Oligarchen, besonders Diamanten und Platin. Doch nun schien die Zeit gekommen, da der Kreml übernehmen konnte. Orlow hatte einen legitimen Vorwand gefunden. Das wird auch Zeit!, überlegte er. Gott allein mochte wissen, wie viele
Weitere Kostenlose Bücher