Das Monopol
Milliarden Dollar Russland verloren gingen, weil sie auf Offshore-Konten in aller Welt deponiert wurden.
Wie aufs Stichwort klopfte es wieder. Diesmal klang es viel zackiger als das Klopfen seines Beraters.
»Da.« Orlow blickte auf und sah in das wie gemeißelt wirkende Gesicht von Oberst Kowanetz. Der Oberst hielt die olivgrüne Offizierskappe fest zwischen seinem linken Arm und dem gestrafften Oberkörper, der steif war wie ein Ladestock. Seine drahtige Gestalt steckte in der olivgrünen Uniform, die samt schwarzer Krawatte und ockerfarbenen Abzeichen seine Zugehörigkeit zum GRU erkennen ließ, dem militärischen Geheimdienst. Seine scharfen Gesichtszüge und die glanzlosen grünen Augen offenbarten eine Seele, die schon schreckliche Qualen mit angesehen hatte – die zu einem nicht geringen Teil von ihm selbst zugefügt worden waren – und die kaum Mitleid kannte.
»Da sind Sie ja, Nikolai Konstantinowitsch. Haben Sie etwas über Pjaschinew erfahren?«
Orlow klappte sein Zigarettenkästchen auf und hielt es Kowanetz hin, der sich eine Zigarette nahm. »Danke, towarisch President.« Er zündete sie mit einem silbernen Feuerzeug an, auf dem ein roter Stern mit goldenem Hammer und Sichel prangte. Orlow konnte Offiziere nicht leiden, die sich immer noch mit den Insignien des alten Sowjetstaates umgaben. Für ihn war dies ein Zeichen, dass sie die derzeitige politische Führung Russlands für etwas Vorübergehendes hielten, für einen Übergang zu einer stark rechts- oder linksgerichteten Regierung, die vermutlich wiederum mit Blut und Sklaven erkauft werden würde. Doch Orlow hatte Wichtigeres zu tun und verkniff sich eine entsprechende Bemerkung.
»Die Nachricht klingt beunruhigend, towarisch president.« Mit allen Anzeichen des Unbehagens ließ Kowanetz sich in einen Sessel sinken. »Direktor Pjaschinew ist tot.«
Orlow hatte damit gerechnet. »Wie und wo?«
»In Mexiko.«
»Mexiko? Das hatte ich nicht erwartet.«
»Mit Ihrer Erlaubnis, towarisch president, möchte ich gern am Anfang beginnen. Es ergibt so mehr Sinn.«
Orlow nickte.
»Wir … haben die Familie und seinen Mitarbeiterstab bei Komdragmet befragt.«
Orlow zuckte zusammen. In Gedanken sah er zerfetzte Bücher, Glasscherben und zerschmettertes Geschirr. Er stellte sich vor, wie man Ehefrau und Kinder in die kalten, schmutzigen Zellen des Lubjanka-Gefängnisses gesperrt hatte. Die Staatssicherheitsorgane Russlands waren zwar im Laufe der Zeit von den jeweiligen Machthabern immer wieder anders genannt worden, doch ob sie nun Ochrana, Tscheka, GPU, OGPU, NKWD, NKGB, MGB, KGB oder, wie in jüngster Zeit, FSB/SWR hießen – oder GRU, dessen militärisches Gegenstück ihre Methoden waren immer dieselben geblieben. Doch so wenig Orlow die Methoden des GRU gefielen, an ihrer Wirksamkeit hatte er nie gezweifelt.
»Seine Familie wusste wirklich nicht, wo er war. Aber von seinen Mitarbeitern hörten wir, dass Pjaschinew mit seinem eigenen Wagen von seiner Datscha aus nach Murmansk gefahren war. Vom Militärflughafen Murmansk flog er mit einer MiG-31 zum Flugzeugträger Kusnetzow. Dann mit einem Marinehubschrauber nach London, von dort mit mehreren Geschäftsmaschinen nach Mexiko und weiter mit einem Helikopter der kubanischen Luftwaffe nach Havanna. Dieser Hubschrauber ist zweihundert Kilometer westlich von Kuba über dem Dschungel von Yucatán abgestürzt. Offenbar gab es keine Überlebenden.«
Orlow richtete sich langsam im Sessel auf. »Aber warum so kompliziert? Pjaschinew stand doch eine eigene Tupolew zu. Warum musste er so umständlich reisen? Und was, um alles in der Welt, wollte er in Kuba? Kuba hat doch gar keine Verbindung zu Diamanten.«
»Towarisch president, wir glauben, dass Pjaschinew seine Abreise geheim halten wollte.«
»Jetzt hören Sie aber auf, Oberst! Pjaschinew war kein Dummkopf. Er wusste, dass wir es herausbekommen.« »Da. Es macht auch keinen Sinn, es sei denn, Pjaschinew hat gedacht, dass es sowieso nichts mehr ausmacht, wenn wir herausbekommen, dass er fort ist.«
Kowanetz war ein guter Soldat, aber kein guter Redner. »Reden Sie Klartext, Oberst!«
»Der neue Diamantenvertrag mit Waterboer.«
»Was ist damit?« Orlow befürchtete das Schlimmste.
»Pjaschinew wollte nur so lange verschwinden, bis der neue Vertrag mit Waterboer unter Dach und Fach wäre. Er hat angenommen, sein Verschwinden würde erst nach Abschluss der Verhandlungen auffallen. Dann wollte er zurückkehren. Irgendeine Erklärung für seine
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