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Das Monopol

Titel: Das Monopol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Kublicki
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Seite, Herr Präsident.« Slythe schüttelte Orlows dargebotene Hand und lächelte mechanisch. »Vielen Dank für den persönlichen Empfang.« Er schniefte.
    Orlow stellte Nowirsk und seine anderen Berater vor.
    »Und wenn ich Ihnen jetzt meine Mitarbeiter vorstellen darf, Herr Präsident.« Slythe wandte sich um und machte eine Handbewegung zu seinen Begleitern. »Lester Churchman, mein Anwalt. Ich glaube, Sie haben ihn schon bei einer früheren Gelegenheit kennen gelernt. Und mein persönlicher Assistent, Ian Witsrand.«
    Alle gaben sich die Hand und lächelten. Witsrands seltsame Augen jagten Orlow einen kalten Schauder über den Rücken.
    Der russische Präsident führte seine Besucher in sein Amtszimmer. Ihnen zur Seite schritten vier Wachen aus der achttausendköpfigen Präsidentengarde, dem russischen Gegenstück zur Leibwache des amerikanischen Präsidenten, die sich aus dem Geheimdienst rekrutiert. Als ihr Schützling sicher im Amtszimmer war, ließen die Leibwächter sich in die bequemen Stühle vor der Tür sinken und zündeten sich Zigaretten an.
    Slythe hatte es eilig, die anstehenden Verhandlungen zu beginnen. Sein Lächeln war echt, trotz des Jetlags und der Ausschweifungen der vergangenen Nacht.
    Er musterte den russischen Präsidenten und schätzte seinen Gegner ab.
    Orlow hatte viel Glück gehabt. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums schien es zunächst, als würde die kapitalistische Demokratie den diktatorischen Kommunismus ablösen. Doch die Veränderung ging nur knapp bis unter die Oberfläche, wie alle Welt bald herausfand. Zwar war Privatbesitz nun erlaubt, und bestimmte politische Freiheiten wurden gestattet, doch die einschneidenden Wirtschaftsreformen, die nötig gewesen wären, um Kommunismus in Kapitalismus oder in einen gerechten Sozialismus zu verwandeln, wurden nie gründlich genug vorgenommen.
    Das Fehlen echter wirtschaftlicher und politischer Reformen hatte die massive Wirtschaftshilfe aus dem Ausland verpuffen lassen. Wie ein amerikanischer Berater einmal gesagt hatte, legten die ausländischen Gelder einen kurzen Zwischenstopp in Moskau ein, um dann endgültig auf Zypern, den Cayman-Inseln oder in Liechtenstein zu versickern. Statt die staatlich verordnete Wirtschaft auf gerechte Weise zu privatisieren, verkauften die ehemaligen apparatschiki den Staatsschatz für ein Butterbrot an sich selbst; das erforderliche Kapital »liehen« sie, indem sie Staatsbanken, internationale Geldverleiher und humanitäre Hilfsorganisationen anzapften. Einige wurden reicher als die einstigen Zaren, während der größte Teil des Volkes im Übergangsstadium des Postkommunismus vegetierte, arbeitslos, unterbezahlt und ohne soziale Sicherung. Je mehr sich änderte, desto mehr blieb alles beim Alten. Im Grunde hatte sich überhaupt nichts geändert. Seit dem Kommunismus. Seit der Zarenzeit.
    In den späten neunzigern erreichte die Wirtschaftskrise ihren Höhepunkt. Die Herrschaft der Diebe wurde von Hinterzimmeroligarchen befehligt, die sich nun gegen Wirtschaftsreformen stellten und den Zufluss ausländischer Hilfe so stark beschnitten, dass selbst eine frische Finanzspritze des IWF und der Weltbank die blutarme russische Währung nicht stützen konnte. Der Rubel ging auf Talfahrt. In die Duma, das russische Parlament, wurden nun verstärkt Kommunisten und Nationalisten gewählt. Daraus ergab sich ein politischer Aufruhr, der weltweit Aufsehen erregte und aus dem es nur zwei Auswege gab: einen letzten Versuch zu echten, unbequemen und umfassenden Reformen oder das Abgleiten in eine aufrührerische, antiwestliche und von Verzweiflung diktierte Politik, wie sie von der patriotisch-kommunistischen Koalition befürwortet wurde.
    Stattdessen wählte der todkranke, doch immer noch listige russische Präsident eine dritte Möglichkeit: Er trat zurück. Und zwar vor dem Ende seiner Amtsperiode und mit gleichzeitiger Ernennung eines Nachfolgers und dem vollständigen Schuldenerlass für sämtliche Verbrechen und Unterlassungen, die er während seiner Amtszeit verübt hatte. Dieser Schachzug war melodramatisch und unerwartet, kühn und clever. Russisch eben. Und anfangs funktionierte er auch.
    Der vom Präsidenten ernannte Nachfolger Jegor Puschnin war kein unscheinbares Mitglied des russischen Staatsapparats: Er war ein ehemaliger hochrangiger KGB-Offizier. Anders als die vielen zuvor ernannten Minister war Puschnin ein disziplinierter Mann mit stark ausgeprägtem Machtwillen. Seine KGB- Ausbildung und

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