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Das Monster von Moskau

Das Monster von Moskau

Titel: Das Monster von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Stimmen umgeben zu sein, wispernden und geflüsterten Lauten, die ihre Ohren umwehten und eine Botschaft aus einem fernen Land brachten.
    Das Grab des Großvaters war schnell gefunden. Es lag in der Nähe des einzigen auf dem Friedhof stehenden Baumes. Ein krummes Gewächs mit einer breiten Krone, die viel Schatten über manche Gräber legte und auch das Grab nicht verschonte.
    Wanja blieb davor stehen.
    Sie schluckte plötzlich. Tränen stiegen wieder in ihr hoch und füllten die Augen. Sie hatte nicht weinen wollen, aber zu stark waren die Gefühle.
    Valentin hatte ihr ein Tuch gegeben. Das holte sie jetzt aus der Manteltasche hervor und putzte damit ihre Augen ab. So ging es ihr etwas besser, doch es dauerte seine Zeit, bis das Mädchen wieder zurückfand in die Wirklichkeit.
    Der Ort war ihr so vertraut, und er hatte sich auch jetzt nicht verändert. Auf die Pflege des Grabes war immer Wert gelegt worden. Das war auch jetzt zu sehen. Noch vor zwei Tagen hatte die Großmutter Blumen hingestellt. Sie hatten allerdings vor der Kälte kapituliert.
    Mit kleinen Steinen war das Grab umlegt worden. Wanja schaute auf das Kreuz am Kopfende und hätte beinahe wieder geweint, als sie das Bild des Großvaters dort sah, wo sich die beiden Kreuzhälften in der Mitte trafen.
    Es war ein Holzkreuz. Ganz schlicht, aber gut hergestellt. Dafür hatte ein Freund des Verstorbenen gesorgt, der als Schreiner arbeitete.
    Auf dem Grab lagen die dunkelgrünen Tannenzweige, die bald entfernt werden würden. Nichts war aufgewühlt. Nichts wies darauf hin, dass die Toten aus den Gräbern kamen, um in der Kirche eine Messe abzuhalten, damit sie ihre Sünden bereuten.
    Und doch würde es geschehen. Und Wanja würde zum ersten Mal mit dabei sein, das hatte sie sich fest vorgenommen. Sie wusste genau, dass sie dabei ihre große Angst überwinden musste, aber sie war entschlossen, es zu schaffen.
    Nur die Einsamkeit störte sie. Es gab niemanden mehr, an den sie sich hätte wenden können. Keinen Menschen aus der Verwandtschaft. Vielleicht noch an den alten Valentin, aber der würde ärgerlich sein, weil sie einfach von ihm weggelaufen war.
    Langsam hob Wanja den Blick und schaute über das Grab hinweg. Sie wusste selbst nicht, was sie sehen wollte, aber das Grab zu betrachten und dabei an den Großvater zu denken, wollte sie auch nicht.
    Der knorrige Baum streckte seine krummen Äste und Zweige in alle Richtungen hin weg. Die Natur hatte dort ein Kunstwerk geschaffen. Es gab Leute im Ort, die behaupteten, dass in ihm die Seelen der hier liegenden Toten gegangen waren.
    Wanja wusste nicht, was sie glauben sollte. In ihrem Kopf herrschte ein großes Durcheinander.
    Eigentlich war sie ja hergekommen, um Kontakt mit ihrem Großvater zu erhalten. Leider meldete er sich nicht aus seiner Welt. Obwohl das Mädchen davon überzeugt war, dass er über alles Bescheid wusste. Da gab es keine andere Lösung. Das war einfach so. Die Toten wussten immer mehr als die Lebenden.
    Sie wartete, schaute auf den Baum, um den sich auch der Dunst drehte und blickte immer wieder auf das Bild ihres lieben Verwandten. Die Lippen der Zehnjährigen zuckten. Wanja verspürte den Wunsch, etwas sagen zu wollen, aber noch brachte sie keinen Laut hervor. Der Kloß in der Kehle saß zu fest.
    Sie zog die Nase hoch und räusperte sich.
    Jetzt war die Kehle frei.
    Sie konnte sprechen.
    Noch einmal durchatmen.
    »Großvater... bitte... hör mich. Kannst du mich hören? Wenn ja, dann gib Antwort...«
    Die bekam sie nicht. Trotzdem war sie davon überzeugt, dass der Großvater sie hören konnte. Und wieder nahm sie ihren Mut zusammen und fing an zu sprechen.
    Diesmal redete sie lauter. Sie flehte ihren Großvater an, ihr eine Nachricht zu geben, doch es geschah nichts.
    Es war weder etwas zu hören noch zu sehen.
    »Warum nicht?«, flehte das Kind. »Bitte, ich bin doch so allein. Auch Zita ist tot. Sie ist jetzt bestimmt bei dir. Ihr müsst mich doch sehen können...«
    Schweigen. Das tiefe und düstere Schweigen lastete über dem Gelände. Nicht mal der Wind gab einen Laut ab. So steigerte sich die Einsamkeit noch mehr.
    Die ersten Schatten der Dämmerung stahlen sich heran und nahmen von dem alten Friedhof Besitz. Die Gräber bekamen ein anderes Aussehen. Sie wirkten düsterer, auch der Baum warf seine Schatten. Das Astwerk legte das Muster auf den Boden und auch gegen das Grab. Der Nebel trieb weiterhin heran, und er sorgte dafür, dass sich weiter entfernt liegende Umrisse

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