Das Monster von Moskau
verloren. Die Kälte aber war geblieben. Kein Zeichen von Frühling. Der hätte auch nicht hierher gepasst. Nicht in eine Gegend, in der der Tod regierte.
Hinter mir hörte ich das Kratzen der Tür. Dann erschien Karina Grischin. Sie kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Ihr besorgter Gesichtsausdruck war nicht zu übersehen.
»Was hat er gesagt?«
Sie gab die Antwort erst, als wir vor der Außentreppe standen. »Eigentlich nicht viel. Er war sehr verschlossen. Er kämpft mit seinem schlechten Gewissen.«
»Das kann ich mir denken. Hast du ihm denn geraten, im Haus zu bleiben?«
»Worauf du dich verlassen kannst.«
»Und?«
Sie lächelte. »Ich weiß nicht, ob er auf meinen Vorschlag eingehen wird. Er hat zugehört und genickt. Doch der Ausdruck seiner Augen gab mir eine ganz andere Antwort. Ich gehe davon aus, dass er etwas machen will, also müssen wir mit ihm rechnen.«
Eigentlich müsste man ihn einschließen.«
Willst du das übernehmen, John?«
Nein. Ich weiß nur, dass er nicht auf uns hören wird, Egal, was geschieht.«
»Allerdings glaube ich nicht, dass wir ihn auf dem Friedhof treffen werden«, sagte sie.
»Warum nicht?«
»Weil er von dem Treffen gesprochen hat, das allein wichtig ist. Damit meint er die Kirche.«
»Die wir uns auch ansehen werden. Und irgendwo wird uns auch Wanja über den Weg laufen, da bin ich mir sicher.«
Karina wollte nichts mehr sagen. Sie ging mit zügigen Schritten auf ihren Wagen zu. Als ich ihn erreichte, saß sie bereits hinter dem Lenkrad. »Wir werden keine Unterstützung bekommen, John, da hat Valentin schon richtig gesprochen. Nicht in diesem Ort. Hier leben die Menschen schon seit Jahren mit diesem unheimlichen Fluch, und ihre Vorfahren ebenso. Sie nehmen die Ereignisse der Karwoche hin, weil sie nichts ändern können. Und deshalb nehmen sie auch den Tod hin. Sie wissen ja, dass es Ostern vorbei ist.«
»Meinst du den Tod oder das Monster?«
»Beides. Aber der Tod ist dabei mehr ein metaphysischer Begriff. Es gibt ihn, und es gibt die Auferstehung, damit ist der Tod besiegt. Deshalb ist Ostern für die Menschen hier auch so wichtig. Erst dann können sie wieder aufatmen.« Meine russische Freundin schlug mit der rechten Hand auf das Lenkrad. »Aber das Monster gibt es noch immer.«
»Ich hoffe nicht.«
»Was bringt dich denn auf die Idee?«
»Ich denke an uns beide und hoffe, dass wir das Problem aus der Welt schaffen.«
Karina gab die Antwort auf ihre Weise. Sie startete und fuhr los...
Wie helle Perlen rannen die Tränen an Wanja’s Wangen hinab. Sie spürte den bissigen Wind, der ihr beim schnellen Laufen ins Gesicht schlug, doch es war nicht er, der für die Tränen sorgte, sondern die Gewissheit, dass sie jetzt allein auf der Welt stand.
Jetzt war auch ihre Großmutter tot. Ebenso wie der Großvater. Und doch wollte sie nicht daran glauben. Die Großmutter hatte immer berichtet, dass es ihn noch gab. Er war in der Nähe, fast bei ihr.
»Selbst wenn die Menschen gestorben sind, lassen sie ihre Freunde und Verwandten nicht allein.« So hatte Zita, die Großmutter, immer gesprochen.
Das hatte Wanja nicht glauben können und die alte Frau dementsprechend überrascht angeschaut.
»Ja, so ist das. Alles hat seine Zeit, das ist auch bei den Toten so. Bevor sie endgültig Abschied nehmen, sind sie in deiner Nähe, nur nicht mehr so, wie man sie als Menschen gekannt hat.«
»Wie dann?«
»Sie sind in einem anderen Zustand. Sie sind feinstofflich geworden. Sie warten darauf, das Zwischenreich zu verlassen, um für immer zu verschwinden. Das ist zumindest hier so.«
»Du weißt so viel, Großmutter.«
»Ach, mein Kind, das bringt das Alter so mit sich. Man erfährt viel im Leben, auch von den Dingen, die im Verborgenen blühen. Das solltest du schon jetzt wissen.«
Ja, sie hatte Zita immer zugehört, nachdem es den Großvater nicht mehr gab. Doch jetzt war auch die Großmutter tot, und sie stand allein auf der Welt.
Nein, nicht ganz. Die Toten waren ja Helfer. Das hatte Zita immer behauptet, und Wanja wollte herausfinden, ob dies auch stimmte. Genau aus diesem Grund lief sie zum Friedhof, denn nur dort konnte sie die Toten oder die Geister treffen. Davon war sie überzeugt.
Es tat ihr Leid, den alten Valentin so schnell allein gelassen zu haben. Aber sie konnte nicht anders. Es drängte sie. Im Innern spürte das Mädchen, dass es in dieser Nacht auch auf es ankam. Da musste etwas klargestellt werden.
Valentin hatte sie bei sich behalten
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