Das Monster von Moskau
nichts zu tun.«
»Totengeister reichen mir auch.«
Karina konnte das Lachen nicht unterdrücken. »Mir reichen sie ebenfalls.«
Ich warf einen letzten Blick über den kleinen Teich. Bis zum gegenüberliegenden Ufer war es nicht weit, aber die Umrisse begannen zu verschwimmen.
Das lag nicht an meinen Augen, sondern an der Dämmerung.
»Reicht es dir, Karina?«
»Bestimmt. Ich wollte dir nur zeigen, wo es beinahe passiert wäre. Schauen wir uns den Friedhof an.«
Auf ihn setzte ich mehr Hoffnung. Dass es diese Geister gab, hatten wir erlebt. Zumindest ein Geist war mit uns konfrontiert worden. Aber in dieser Nacht würden mehrere erscheinen und sich an der Kirche treffen, um ihre Sünden zu bereuen.
Hier kehrten die Toten zurück, aber nicht als Zombies, sondern als Geister, und das sah ich als einen Vorteil an. Ich wollte nicht an die schrecklichen Kreaturen denken, gegen die ich schon gekämpft hatte. Wenn eine Horde von lebenden Leichen den Ort überfallen hätte, dann hätte es für die Bewohner keine Chance gegeben.
Karina war sehr still, als sie vor mir herging. Wir hatten den Volvo auf halber Strecke zwischen dem Friedhof und dem Teich abgestellt. Den alten Totenacker würden wir auch zu Fuß erreichen, und es kam mir vor, als würden wir uns durch einen schattigen Gang bewegen, der nur aus der Höhe ein wenig Licht erhielt. Zu den Seiten hin standen die Bäume wie Rammstangen in der Erde, und das hörte erst direkt in der Nähe des Friedhofs auf. So sahen wir ihn bereits aus einer gewissen Entfernung. Karina blieb stehen und wies nach vorn.
»Schau ihn dir an, John.«
»Gern. Und wieso?«
»Welchen Eindruck macht er auf dich? Ich meine, du bist sensitiver als ich. Spürst du, dass von ihm etwas Bestimmtes ausgeht? Dass er etwas enthält, was anders ist als auf normalen Friedhöfen?«
»Nein...«
»Kein... äh... anderes Flair?«
»Auch nicht.«
»Und das Kreuz?«
Ich schüttelte den Kopf. »Es gibt mir keine Nachricht, keine Warnung – nichts. Wenn sich irgendwelche Geister hier herumtreiben, dann stehen sie nicht auf der falschen Seite.«
»Obwohl sie erscheinen werden, um sich die Sünden vergeben zu lassen oder zu beten?«
»Tja, Karina, wer von uns ist schon ohne Sünde?«
»Stimmt auch wieder.«
Nach diesen Worten kam die Stille zurück. Es passierte wirklich nichts, aber genau das sah ich mit anderen Augen an. Wie oft schon hatte ich ähnliche Situationen erlebt, die so harmlos wirkten und sich dann fast explosionsartig änderten, wenn das nach außen trat, das sich unter der Oberfläche verborgen gehalten hatte.
Damit mussten wir auch hier rechnen, denn es ging nicht nur um die Geister, sondern auch um das Monster von Moskau, das sich hier herumtrieb und einen Mord verübt hatte.
Karina blieb unvermittelt stehen und hob eine Hand. Ich war wohl mehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt gewesen. Deshalb hatte ich nicht das gehört, was ihr aufgefallen war.
»Was hast du für ein Problem?«
Sie deutete nach vom. »Halte mich bitte nicht für eine Spinnerin, aber ich glaube, dass mir eine Stimme aufgefallen ist. Und zwar auf dem Friedhof.«
»Was für eine?«
»Sie war hell und...« Sie stieß mich an. »Ja, da ist sie wieder, John! Hörst du?«
Karina hatte gute Ohren, und sie hatte sich nicht geirrt. Die Stimme war wirklich keine Einbildung gewesen, denn jetzt hörte auch ich sie. Leise, irgendwie wehmütig, und sie klang vom Friedhof her zu uns herüber, als würde sie von den Dunstschwaden getragen, die sich ebenfalls ausgebreitet hatten.
»Ein Frau?«, flüsterte ich.
»Nein, John, nein. Das ist keine Frau gewesen. Das... das... war ein Kind, verstehst du?«
Und ob ich verstand. »Wanja?«
»Wer sonst?«
Plötzlich schoss mir vieles durch den Kopf. Ich wusste ja, wie sehr das Mädchen an seinem Großvater hing. Auch im Tod noch war er so etwas wie ein großes Vorbild für sie. Klar, dass sie auch sein Grab besuchte. Nur fand ich die Zeit nicht angemessen, denn ich dachte auch an den herumstreunenden Killer.
»Ich denke, wir sollten uns mit Wanja beschäftigen.«
»Und ob.«
Wir gingen dem Friedhof jetzt schneller entgegen. Immer wieder war die Stimme zu hören, wenn auch nicht fortlaufend, aber sie war da. Ich verstand nicht, was die Kleine rief, doch Karina übersetzte so gut sie konnte.
»Sie ist verzweifelt, John. Sie ruft nach ihrem Großvater. Er scheint der Einzige zu sein, der ihr helfen kann, obwohl er nicht mehr lebt. Sie setzt volles Vertrauen in
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