Das Monster von Moskau
wollen. Er hatte auch von einem schrecklichen Mörder gesprochen, der unterwegs war und keine Rücksicht auf sie nahm. Ob Kind, Frau oder Mann, das Monster würde alle umbringen. Es war der Teufel, der vor Ostern die Welt unsicher machte, so hatten nicht wenige Menschen gesagt.
Das war Wanja egal. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen. Sie hatte alles verloren. Was hätte der Teufel dann noch von ihr gewollt? Nichts, gar nichts.
Den Ort hatte sie hinter sich gelassen. Da sie sich auskannte, war es kein Problem gewesen, über Schleichwege zu laufen, sodass sie so gut wie niemanden hatte sehen können.
Erst an der alten Kirche blieb sie stehen und trocknete ihre Tränen. Der Wind war noch da, aber nicht mehr so stark. Er flüsterte mehr in ihren Ohren, als wollte er ihr eine geheimnisvolle Botschaft aus dem Totenreich vermitteln.
Trockene Büsche umstanden das Bauwerk. Der Boden war noch hart, aber auch vom Frost aufgerissen worden. Das alte, dunkelgraue Mauerwerk hatte im Laufe der Zeit Risse bekommen, ebenso das Holz der Tür.
Der Pope war nicht da.
Und genau das hatte auch Valentin als bitter empfunden. Er war vor einer Woche plötzlich krank geworden und lag in einer Moskauer Klinik. Was er genau hatte, wusste niemand aus dem Ort, aber es würde dauern, bis er wieder an seinen Platz zurückkehrte. Falls der Tod nicht doch schneller war.
Mit langsamen Schritten ging sie an der Breitseite der Kirche entlang. Sie hatte das Gefühl, sich ducken zu müssen, aber es war niemand da, der ihr etwas wollte. Auch hinter den schmalen Fenstern der Kirche sah sie niemanden, der sie beobachtet hätte.
Nur der Dunst kam. Fast wie an jedem Abend. Er kroch über den Boden. Feine Streifen, manchmal auch Wolken, die nie einen Laut von sich gaben, wenn sie herbeirollten.
Der Nebel war kalt und feucht. Wanja mochte ihn nicht. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass sich in seinem Schutz Geister verborgen hielten, die plötzlich herauskommen würden, um über die normalen Menschen herzufallen.
Es drehten sich viele Geschichten um den Nebel. Um Geister und Gespenster. Um Nixen, die in seinem Schutz an die Oberfläche der Teiche und Seen stiegen oder sich an den Flussufern versammelten und auf junge Männer warteten, die sie verführen konnten.
Viele Geschichten erzählte man sich, und nicht wenige Menschen hielten sich an die Ratschläge.
Genau das hatte Wanja nicht getan. Trotz ihrer beklemmenden Furcht wollte sie den Friedhof erreichen, der wirklich nicht weit von der Kirche entfernt lag und auch nur einen Steinwurf entfernt von einem alten Teich, auf dessen Oberfläche noch eine dünne Eisschicht lag.
Die Kirche blieb hinter ihr zurück. Seltsamerweise hatte ihr der Anblick kein Vertrauen eingeflößt oder Trost gegeben. An diesem Tag, der noch nicht beendet war, gab es die normalen Regeln nicht mehr. Hier hatte die andere Macht angegriffen.
Sie sah den kleinen Friedhof vor sich. Der Dunst hatte auch ihn erreicht und kroch durch die Lücken zwischen den alten Grabsteinen und Kreuzen. Er schlich über die Gräber hinweg, in denen die Leichen vor sich hinmoderten.
Zum Friedhof gab es einen freien Zugang. Wanja musste keine Mauer überklettern, keinen Zaun und auch kein Tor aufstoßen, sie konnte das Gelände normal betreten, was sie auch tat und dabei sehr schnell merkte, dass die Oberfläche anders geworden war. Sie zeigte nicht mehr den harten Frost. Hier war der Boden weicher und mit Unkraut überwuchert, das auch den kalten Winter überstanden hatte.
Wanja kannte sich auf dem Gelände aus, weil sie das Grab ihres Großvaters zusammen mit der Großmutter schon oft besucht hatte.
Einmal in der Woche waren sie immer auf den Friedhof gegangen. Da hatten sie dann vor dem Grab gestanden, und jetzt erinnerte sich das Mädchen wieder daran, wie ihre Großmutter tief Atem geholt und gesagt hatte, dass der Großvater in der Nähe sei. Ab und zu hatte sie sogar seinen Namen gerufen.
Ob sie eine Antwort erhalten hatte, darüber hatte sie nie ein Wort verloren, aber Wanja erinnerte sich daran, dass sie hin und wieder gelächelt hatte und zufrieden gewesen war.
Jetzt ging sie allein.
Die Großmutter war nicht mehr bei ihr.
Sie lag auf dem Bett.
Tot! Ermordet durch das verfluchte Monster, das Wanja so hasste. Wenn sie daran dachte, zitterte sie vor Wut.
Auf dem Gelände war es still. Man konnte die Stille als die übliche Friedhofsruhe bezeichnen, aber das wollte Wanja nicht so recht glauben. Sie hatte mehr das Gefühl, von
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