Das Monster von Moskau
war er ebenfalls nicht entgangen, und so hörte ich plötzlich die schrille Stimme des Mädchens, und selbst seine Worte verstand ich.
»Es ist mein Großvater. Ja, er ist es. Jetzt wird alles gut...«
***
Ob das wirklich stimmte, bezweifelte ich. Aber die Tatsache, dass Wanja bald dem Geist ihres verstorbenen Großvaters gegenüberstehen würde, hinterließ bei mir schon einen Schauer.
Es hatte sich eine bestimmte Spannung aufgebaut. Jeder wusste, dass etwas passieren würde und musste, aber zunächst breitete sich die Stille weiter aus.
Es ließ sich auch kein Kozak blicken. Nur die Stimmen und natürlich die helle Erscheinung, die ihren Weg fortsetzte.
An die Stimmen hatte ich mich inzwischen gewöhnt. Oder anders gesagt, sie störten mich nicht mehr so stark, weil sie mich auch nicht ablenkten.
Wenn ich allerdings davon ausging, dass jede Stimme zu einem Geist gehörte, und wenn ich daran dachte, dass sich jeder zeigen würde, dann musste es hier vor der kleinen Kirche von Geistern bald so wimmeln.
»Njet!«
Mich schreckte Karina’s Stimme aus meinen Gedanken. Sie hatte das »Nein« nicht grundlos gerufen, denn Wanja wollte sich von ihr losreißen. Es war verständlich, dass sie zu ihrem »Großvater« wollte. Dagegen hatte Karina etwas.
Wanja nickte und gehorchte. Sie entspannte sich wieder und schaute zur Erscheinung hin.
Aber ihr Einlenken war die reine Täuschung gewesen. Sie hatte nur auf einen bestimmten Moment gewartet, wo sie nicht mehr so hart umfasst wurde.
Sie riss sich los!
Karina wollte noch nachgreifen, aber das Mädchen war zu schnell. In einem Zickzacksprung war sie ihrer Reichweite entwischt und auch meiner, denn sie huschte an mir vorbei und rannte auf den Geist ihres Großvaters zu.
Karina wollte ihr nach, doch diesmal hielt ich sie zurück. »Nein, lass sie. Ich glaube nicht, dass der Geist des Großvaters ihr etwas tun wird. Es kann sogar wichtig sein, damit sie den Tod der beiden Großeltern besser zu verkraften lernt.«
»Aber Kozak.«
»Ist noch nicht da!«
»Ha, weißt du das genau?«
»Ich gehe davon aus.«
Inzwischen hatte Wanja den Geist erreicht. Sie blieb nicht stehen, sondern schritt um ihn herum. Ich konnte mir dabei sogar vorstellen, dass sie ihn anstaunte und mit ihm redete.
Das traf tatsächlich zu. Karina und ich hörten ihre hohe Mädchenstimme recht deutlich, und ich fragte meine Freundin, was das Kind von seinem Großvater wollte.
Karina hob die Schultern. Ihr Gesicht entspannte sich dabei nicht. Sie lauschte eine Weile und meinte ziemlich enttäuscht: »Ich kann leider nichts verstehen.«
Es war auch schwer, denn dort draußen hallte nichts nach wie in der Kirche. Auf Kozak warteten wir vergeblich. Mich beruhigte das keineswegs, denn ich ging weiterhin davon aus, dass das Monster von Moskau sich in der Nähe aufhielt und lauerte.
Dann stieß mich Karina an. Sie hatte sich nur konzentriert und atmete jetzt heftig. Den Grund vernahm ich, denn Wanja’s Stimme war lauter geworden.
»Sie fragt nach Zita, John«, übersetzte Karina. »Sie will wissen, was mit ihrer Großmutter passiert ist und ob es ihr gut geht. Leider kann ich die Antwort nicht verstehen. Ein Geist spricht eben nicht wie ein Mensch.« Sie lächelte kantig. »Nun ja, nicht in der Regel. Vielleicht macht er bei Wanja eine Ausnahme.«
»Das hoffe ich.«
Karina schwieg. Sie blickte starr zu dem Mädchen hin, das in der Dunkelheit wie ein starrer Schatten wirkte und sich auch in den folgenden Sekunden nicht bewegte. Es schaute nur gegen die blasse, aber doch irgendwie kompakte Gestalt vor ihm, und ich war sicher, dass Wanja weitere Nachrichten empfing.
Für mich war momentan nichts zu hören und nichts zu sehen, deshalb drehte ich mich um, weil ich noch mal in die Kirche schauen wollte. Sie kam mir noch immer vor wie eine stille dunkle Höhle. Dem Frieden traute ich nicht. Ich hatte den toten Popen gefunden. Er war praktisch an seinem Arbeitsplatz ermordet worden. Demnach hatte ihn der Killer dort besucht. Auch wenn die Kirche klein war, es gab trotzdem genügend Stellen, an denen sich jemand verstecken konnte.
Hätte der Mörder eine Schusswaffe besessen, er hätte uns treffen können, denn wir malten uns direkt vor dem Eingang ab und waren unbewegliche Ziele.
Nicht so Wanja. Sie drehte sich plötzlich herum, was Karina und mich überraschte.
»He, sie kommt zurück.«
Wanja ging. Aber sie schritt und lief nicht schnell wie auf dem Hinweg. Sie schien einen Erfolg erreicht zu haben,
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