Das Monster von Moskau
gefährlich werden kann. Wir haben es mit Wesen zu tun, die keine Menschen sind.«
Malinka holte ihr Kopftuch aus der Jacke, streifte es über ihr Haar und fing an zu lachen. Es hörte sich eher an wie das Krächzen eines Vogels.
»Glaubst du denn, dass ich in meinem Alter noch Angst um mein Leben haben müsste?«
»Nein, denn ich denke ähnlich«, gab Valentin zu. »Aber da gibt es ein Waisenkind, für das wir uns einsetzen wollten.«
»Ja, auch das habe ich nicht vergessen. Nur musst du bedenken, dass wir nicht allein sind.« Sie blickte ihn forschend von der Seite her an. »Oder hast du kein Vertrauen zu deinen Verbündeten?«
»Doch, das habe ich.«
»Dann sollten wir uns auf den Weg machen, Valentin.«
Er sagte nichts mehr dazu und setzte seinen Vorsatz in die Tat um. Sie schritten Seite an Seite dem Ziel entgegen und vermieden es dabei, durch die Mitte des Dorfes zu gehen, weil sie nicht unbedingt gesehen werden wollten.
Durch das dunkler werdende Grau der Dämmerung bewegten sich über ihnen die schwarzen Vögel, was Valentin nicht eben als ein gutes Omen wertete...
***
Wir hatten Wanja in die Mitte genommen und waren durch eine dunkle und schweigende Welt gegangen. Die Kirche lag nicht weit weg und war trotzdem nicht für uns zu sehen, weil uns die Bäume einen großen Teil der Sicht nahmen.
Wir hatten Wanja an die Hand genommen. Sie sagte kein Wort. Nur manchmal spürte ich das Zittern ihres Körpers, wenn sie wieder an etwas Bestimmtes dachte.
Allmählich veränderte sich das Bild. Ein großer Schatten erschien, der sich an einer bestimmten Stelle mit einem langen Hals in die Höhe reckte. Es war der Kirchturm.
Kein Licht begrüßte uns. Der Bau war dunkel. Er stand als Klotz in der Stille.
Natürlich gingen wir nicht einfach spazieren. Wir schauten uns schon die Umgebung an, aber sie war hier ebenso still und starr wie auf dem Friedhof vorhin.
In dieser Umgebung gab es keine menschlichen Stimmen, auf die wir aufmerksam geworden wären. Die Stille konnte man als eine Bedrückung wahrnehmen. Einzig und allein die Geräusche unserer Schritte unterbrachen sie.
Schon bei der Herfahrt hatte ich von der Ferne aus einen Blick auf die Kirche werfen können. Sie war mir recht klein vorgekommen, und dieser Eindruck blieb auch jetzt bestehen. Dieser Bau erinnerte mehr an eine Kapelle, die allerdings einen Turm besaß, was nicht unbedingt zu einer Kapelle gehörte.
Den Eingang fanden wir an der Seite. Dort blieben wir auch stehen und schauten uns die Tür an, die nicht eben hoch war, denn ich musste schon den Kopf einziehen, um den Bau zu betreten. Noch blieben wir vor der Kirche stehen und warteten.
Die Geister der Toten werden kommen, um sich vor der Kirche zu versammeln. Dann wird der Geist eines Popen erscheinen, um ihnen die Tür zu öffnen. Danach werden sie dann die Kirche betreten können, um endlich um Vergebung zu bitten.
Bisher waren sie noch nicht gekommen, und ich musste an den Popen denken, der eine Rolle spielte. Allerdings dachte ich nicht an den Geist eines Popen, sondern an einen echten, und darauf sprach ich Karina an.
»Wenn es in einem Ort eine Kirche gibt, dann muss es einen Priester, Popen, Geistlichen geben, der die Gemeinde führt. Das ist überall so – oder?«
»Klar.«
»Hier auch?«
Karina erkannte die Skepsis in meinem Blick und räusperte sich. »Du wirst es kaum für möglich halten, John, aber darüber habe ich auch nachgedacht. Ich weiß nicht, was mit dem Popen hier los ist und warum er sich noch nicht hat blicken lassen.«
»Möglicherweise ist er auch nicht mehr dazu in der Lage.«
Ihr leises Aufstöhnen war nicht zu überhören. Dann meinte sie: »Das Monster?«
»Ja. Es kann sein, dass es den Weg frei haben wollte. Der Pope hätte es möglicherweise behindert.«
»Ich weiß, was du meinst.«
Ich war der Meinung, dass wir uns lange genug vor der Kirche aufgehalten hatten. Ich warf noch einen letzten Blick in die Umgebung, in der es keine Veränderung gab, und wandte mich der Eingangstür zu.
Im Prinzip kann man davon ausgehen, dass Kirchen nicht verschlossen sind. Darauf setzte ich auch in diesem Fall.
Im Verhältnis zu den Ausmaßen der Tür war die Klinke ungewöhnlich schwer und groß, aber ich konnte wieder lächeln, als ich die Tür nach innen drückte.
Bereits nach dem ersten Schritt drang mir die ungewöhnliche Kühle entgegen, die sich wie ein Etui um einen bestimmten Geruch spannte. Es roch im ersten Augenblick für meine Nase nach fremden
Weitere Kostenlose Bücher