Das Monstrum
Schafe, so weiß wie die Laken in Werbespots für Waschmittel auf einer Leine gehängt bis zum Horizont und darüber hinaus. ’Becka und Corinne waren auf einer Schaffarm in New Gloucester aufgewachsen, und ’Becka wusste aus eigener Erfahrung, dass Schafe niemals so weiß und gleichförmig wollig waren wie kleine, auf die Erde gefallene Schönwetterwolken. Aber, überlegte sie, wenn Jesus Wasser in Wein verwandeln und die Toten zum Leben erwecken konnte, dann gab es keinen Grund, warum Er nicht die um ein paar Lammarschlöcher herum getrocknete Scheiße verschwinden lassen konnte, wenn Er es wollte.
Joe hatte mehrmals versucht, das Bild vom Fernseher verschwinden zu lassen, und sie vermutete, dass sie jetzt wusste, warum. Joe hatte sich natürlich Gründe aus den Fingern gesogen. »Es erscheint mir einfach unpassend, Jesus auf unserem Fernseher zu haben, wenn wir Magnum oder Miami Vice sehen«, hatte er gesagt. »Warum stellst du ihn nicht in dein Büro, ’Becka? Oder … weißt du was? Warum stellst du ihn nicht bis Sonntag in dein Büro, und dann kannst du ihn herunterbringen und zurückstellen, während du dir Jimmy Swaggart und Jack van Impe ansiehst. Ich wette, Jesus gefällt Jimmy Swaggart viel besser als Miami Vice. «
Sie weigerte sich.
Ein andermal hatte er gesagt: »Wenn ich dran bin mit der Donnerstagabend-Pokerrunde, gefällt den Jungs das nicht. Niemand mag es, wenn einem Jesus Christus zusieht, wie man versucht, ein Straight zu ziehen.«
»Vielleicht fühlen sie sich unbehaglich, weil sie wissen, dass Kartenspielen Teufelswerk ist«, hatte ’Becka gesagt.
Joe, ein guter Pokerspieler, murrte. »Dann war es Teufelswerk, das dir zu der Trockenhaube und dem Granatring verholfen hat, der dir so gut gefällt«, sagte er. »Du solltest sie zurückgeben und das Geld der Heilsarmee stiften. Ich glaube, ich habe die Quittungen noch in der Kommode.«
Also gestattete sie Joe, das 3-D-Bild von Jesus einmal im Monat am Donnerstag herumzudrehen, wenn er seine biertrinkenden, schmutzige Reden führenden Freunde zum Pokerspielen hier hatte – aber das war alles.
Und jetzt kannte sie den wahren Grund, warum er dieses Bild hatte loswerden wollen. Er musste die ganze Zeit eine Ahnung gehabt haben, dass das Bild ein magisches Bild sein könnte. Oh, wahrscheinlich war »heilig« ein besseres Wort, magisch war für Heiden, Kopfjäger, Kannibalen, Katholiken und dergleichen, aber war ja letzten Endes doch fast alles dasselbe, nicht? Wie auch immer, Joe musste gespürt haben, dass dieses Bild etwas Besonderes war, das seine Sünde ans Licht bringen würde.
Oh, sie hatte schon immer geahnt, dass irgendetwas im Gange war. Er hatte es nachts nicht mehr auf sie abgesehen, und während das zwar eine Erleichterung war (Sex war genauso, wie ihre Mutter es ihr vorhergesagt hatte, dreckig, brutal, manchmal schmerzhaft, immer demütigend), hatte sie ebenso von Zeit zu Zeit Parfüm an seinem Kragen gerochen, und das war überhaupt keine Erleichterung gewesen. Wahrscheinlich hätte sie den Zusammenhang – die Tatsache, dass sein Grapschen etwa zu der Zeit aufgehört
hatte, als sein Kragen anfing, gelegentlich nach Parfüm zu riechen – für alle Zukunft weiterhin ignorieren können, wenn das Bild von Jesus auf dem Sony nicht am siebenten Juni angefangen hätte, zu ihr zu sprechen. Sie hätte sogar einen dritten Faktor übersehen können: Um die gleiche Zeit, als das Grapschen aufgehört und der Parfümgeruch angefangen hatte, war der alte Charlie Estabrooke im Postamt in den Ruhestand gegangen und eine Frau namens Nancy Voss war von der Post in Augusta gekommen, um seine Stelle einzunehmen. Sie vermutete, dass die Voss (die für ’Becka jetzt lediglich Die Nutte war) etwa fünf Jahre älter war als sie und Joe, also um die fünfzig, aber sie war eine schlanke, gepflegte Fünfzigj ährige. ’Becka gab zu, dass sie selbst ein wenig zugenommen hatte, von hundertsechsundzwanzig auf zweihundertdrei, das meiste, seit Byron, ihr einziges Küken, aus dem Haus war.
Sie hätte es ignorieren können, hätte es ignoriert, es vielleicht sogar mit Erleichterung toleriert; wenn die Nutte das Viehische der geschlechtlichen Vereinigung mit seinem Grunzen und Stoßen und dem abschließenden Verspritzen von klebrigem Zeug, das leicht nach Kabeljau roch und wie billiges Geschirrspülmittel aussah, gefiel, dann bewies das nur, dass die Nutte selbst wenig mehr als ein Tier war. Zudem befreite es ’Becka Paulson von einer lästigen, wenn
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