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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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kletterte.
    David wandte sich zum Publikum, ein kleiner rundlicher Junge in blauen Shorts einem verblichenen T-Shirt, auf dem stand: MAN NENNT MICH DR. LOVE. Tränen liefen ihm übers Gesicht.

    » Lächle, verdammt!«, zischte Hilly und stellte einen Fuß auf das Pedal der Nähmaschine.
    Obwohl er heftiger weinte, gelang David die fratzenhafte Parodie eines Lächelns. Marie Brown sah die Entsetzenstränen ihres kleineren Sohns nicht. Mrs. Crenshaw hatte den Stuhl gewechselt (die Aluminiumbeine des Stuhls, auf dem sie gesessen hatte, waren mittlerweile bis zur Hälfte im Rasen eingesunken) und schickte sich an zu gehen. Es war ihr einerlei, ob sie der dummen Fotze Avon verkaufte oder nicht. Dafür lohnte es sich nicht, diese Folter zu ertragen.
    »Und JETZT! «, brüllte Hilly sein lethargisches Publikum an »Das größte Geheimnis, das der Orient bereithält! Wenigen bekannt und von noch wenigeren ausgeübt! Der verschwundene Mensch! Sehen Sie genau her!«
    Er warf eine Decke über Davids zitternde Gestalt. Während sie sich bis über Davids Beine senkte, wurde darunter ein deutliches Schluchzen laut. Hilly verspürte ein weiteres Zittern, das Angst sein konnte oder Vernunft, die mühsam um die Oberhand kämpfte.
    »Hilly, bitte … bitte, ich habe Angst …« Das gedämpfte Flüstern verstummte.
    Hilly zögerte. Und dachte plötzlich: Fort mit dir! Ich weiß, dass ich’s kann! Ich lernte diesen Trick … vom Tommyknocker-Mann!
    Kurz darauf verlor Hilly Brown dann wirklich und tatsächlich den Verstand.
    »Presto-majesto!«, brüllte er, schwenkte den Stab über der zitternden Gestalt unter der Decke und trat auf das Pedal.
    Summmmmmmmmmmm.
    Das Laken sank langsam hinab, wie ein Laken es tut, wenn man es über ein Bett wirft und absinken lässt.
    Hilly zog es weg.

    »Ta-daaaa!«, kreischte er. Er war halb von Sinnen vor einer Mischung aus Triumph und Angst, und einen Augenblick waren beide im Gleichgewicht, wie zwei gleich schwere Kinder auf einer Wippe.
    David war verschwunden.
    9
    Einen Augenblick war die allgemeine Apathie unterbrochen. Barney Applegate hörte auf, an seinem Schorf zu kratzen. Bryant Brown richtete sich mit offenem Mund auf seinem Stuhl auf. Marie und Mrs. Crenshaw unterbrachen ihre geflüsterte Unterhaltung, Ev Hillman runzelte die Stirn und sah besorgt aus – aber dieser Ausdruck war nicht unbedingt neu. Ev sah schon seit ein paar Tagen besorgt aus und fühlte sich auch so.
    Ahhh, dachte Hilly, und Balsam ergoss sich über seine Seele. Erfolg!
    Das Interesse des Publikums und Hillys Triumph waren jedoch nur von kurzer Dauer. Tricks, die mit Menschen zu tun haben, sind immer interessanter als Tricks mit Gegenständen oder Tieren (ein Kaninchen aus einem Hut zu ziehen, ist schon ganz in Ordnung, aber kein Zauberer, der sein Geld wert ist, käme auf die Idee, dass er mit einem in der Mitte durchgesägten Pferd mehr Erfolg haben könnte als mit einem spärlich bekleideten Mädchen mit einer tollen Figur) –, aber es ist doch wieder der gleiche Trick. Diesmal war der Beifall lauter (und Barney Applegate stieß ein herzhaftes »Ju-huuuu, Hilly!« aus), aber er ließ rasch wieder nach. Hilly sah, dass seine Mutter wieder mit Mrs. Crenshaw flüsterte. Sein Vater stand auf.

    »Ich muss jetzt duschen, Hilly«, murmelte er. »Verdammt gute Vorstellung.«
    »Aber …«
    Vor der Einfahrt ertönte eine Hupe.
    »Das ist meine Mutter«, sagte Barney und sprang so schnell auf, dass er beinahe Mrs. Crenshaw umgestoßen hätte. »Bis bald, Hilly! Guter Trick!«
    »Aber …« Jetzt spürte Hilly, wie ihm Tränen in den Augen brannten.
    Barney sank auf die Knie und tat, als wollte er unter die Plattform winken. »Tschüs, Davey! Gut gemacht!«
    »Er ist nicht dort unten, verdammt noch mal!«, kreischte Hilly.
    Aber Barney hastete bereits davon. Hillys Mutter und Mrs. Crenshaw gingen zur Tür und blätterten dabei einen Avon-Katalog durch. Alles geschah so schnell. »Nicht fluchen, Hilly«, rief seine Mutter, ohne sich umzudrehen. »Und David soll sich die Hände waschen, wenn ihr ins Haus kommt. Darunter ist es schmutzig!«
    Nur noch Ev Hillman, Davids Großvater, war übrig. Ev sah Hilly mit besorgtem Gesichtsausdruck an.
    »Warum gehst du nicht auch?«, fragte Hilly mit einer verbitterten Wut, die lediglich durch seine nuschelnde Stimme verdorben wurde.
    »Hilly, wenn dein Bruder nicht da unten ist«, sagte Ev mit einer Stimme, die seiner sonstigen gar nicht ähnelte, »wo genau ist er dann?«
    Ich weiß es

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