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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nicht, dachte Hilly, und da begann sich die Wippe zu neigen. Der Ärger ging nach unten. Weit nach unten. Und die Angst schnellte hoch. Sehr hoch. Mit der Angst kam die Schuld. Ein Schnappschuss von Davids weinendem, entsetztem Gesicht. Ein Schnappschuss seines eigenen (mit freundlicher Unterstützung von einer ausgezeichneten
Fantasie), das wütend und beinahe boshaft aussah – ganz sicher tyrannisch. Lächle, verdammt. David, der versuchte, durch seine Tränen zu lächeln.
    »Oh, er ist tatsächlich dort unten«, sagte Hilly. Er brach in lautes Schluchzen aus und setzte sich auf die Bühne, zog die Knie an und legte sein heißes Gesicht darauf. »Ja, er ist dort unten, alle haben meine Tricks erraten, und keinem haben sie gefallen. Ich hasse Zauberei, ich wünschte, du hättest mir diesen dummen Zauberkasten nie geschenkt …«
    »Hilly …« Ev trat einen Schritt vor, und nun sah er nicht nur besorgt, sondern beunruhigt aus. Irgendetwas stimmte hier nicht … hier und in ganz Haven. Er spürte es. »Was ist los?«
    »Verschwinde von hier!«, schluchzte Hilly. »Ich hasse dich! Ich HASSE dich!«
    Großväter sind ebenso anfällig für Scham, Schmerz und Verwirrung wie alle anderen Menschen auch. Ev Hillman verspürte nun das alles auf einmal. Es schmerzte, Hilly sagen zu hören, dass er ihn hasste – es schmerzte, obwohl der Junge offensichtlich emotional erschöpft war. Ev empfand Scham, weil es sein Geschenk war, das Hillys Tränen provoziert hatte … auch wenn sein Schwiegersohn das Geschenk gekauft hatte. Ev hatte es als sein Geschenk akzeptiert, als Hilly sich gefreut hatte; deshalb, so glaubte er, musste er es auch jetzt akzeptieren, wenn es dazu führte, dass Hilly mit dem Gesicht auf den schmutzigen Knien weinte. Er empfand Verwirrung, weil noch etwas anderes hier vorging … aber was? Er wusste es nicht. Er wusste, dass er sich, als es Sommer wurde, an die Tatsache zu gewöhnen begann, dass er senil wurde – oh, die Symptome waren noch schwach, aber sie schienen mit jedem Jahr ein bisschen stärker zu werden. Und in diesem Sommer
schienen alle senil zu werden … aber was genau meinte er damit? Ein Ausdruck in den Augen? Seltsame Erinnerungslücken, ein Suchen nach Namen, die greifbar hätten sein sollen? Solche Sachen, ja. Aber es gab noch mehr. Er bekam nur noch nicht genau zu fassen, was genau dieses »mehr« war.
    Diese Verwirrung, die so ganz anders war als die Gedankenlosigkeit, welche die anderen befallen hatte, die die ZWEITE GALA-ZAUBERVORSTELLUNG besuchten, brachte Ev Hillman, der die einzige anwesende Person gewesen war, dessen mentis noch immer compos war (tatsächlich war er die einzige Person in ganz Haven, deren mentis noch wirklich compos war – Jim Gardener wurde zwar auch kaum von dem Schiff in der Erde beeinflusst, aber um den siebzehnten herum hatte Gardener wieder angefangen, viel zu trinken), dazu, etwas zu tun, das er später bitter bereute. Anstatt auf seine arthritisgeplagten Knie zu sinken und unter Hillys behelfsmäßige Bühne zu sehen, ob David Brown wirklich darunter war, zog er sich zurück. Er zog sich ebenso sehr von der Vorstellung zurück, dass es sein Geburtstagsgeschenk gewesen war, das Hillys momentanen Kummer verursacht hatte. Er ließ Hilly allein und dachte, er würde wiederkommen, »wenn der Junge sich wieder beruhigt hatte«.
    10
    Während Hilly seinem Opi nachsah, wie dieser davonschlurfte, verdoppelten sich sein Elend und seine Schuldgefühle – dann verdreifachten sie sich. Er wartete, bis Ev gegangen war, dann rappelte er sich auf und ging zu der
Plattform. Er stellte den Fuß auf das verborgene Pedal der Nähmaschine und trat darauf.
    Summmmmmmmm.
    Er wartete darauf, dass sich die Decke zu Davids Gestalt aufbauschte. Er würde das Laken wegziehen und sagen: Na also, Baby, siehst du? War doch GAR NICHTS, oder? Vielleicht würde er David sogar eine saftige Ohrfeige verpassen, weil er ihm Angst gemacht und er sich so elend gefühlt hatte. Vielleicht würde er auch nur …
    Nichts geschah.
    Angst fing an, Hillys Kehle anzuschwellen. Fing an – oder war sie die ganze Zeit über da gewesen? Die ganze Zeit, dachte er. Aber jetzt schwoll sie an, ja, das war genau das richtige Wort. Sie schwoll da drinnen an, als hätte ihm jemand einen Luftballon in den Hals gesteckt und bliese ihn nun auf. Verglichen mit dieser neuen Angst wirkten das Elend gut und die Schuldgefühle absolut toll. Er versuchte zu schlucken, konnte aber keinen Speichel an dieser Schwellung

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