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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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– ein Teil vom Detective Book Club oder Reader’s Digest-Auswahlbücher, von denen eindeutig Schimmelgeruch aufstieg, wenn man sie aufschlug; andere waren zur Größe von Telefonbüchern aufgequollen, als 1947 die Wasserrohre der Pfarrei geplatzt waren, aber die meisten waren in erstaunlich gutem Zustand. Ruth sortierte sie geduldig, behielt die guten, verkaufte die schlechten als Altpapier und warf nur diejenigen weg, an denen nichts mehr zu retten war. Im Dezember 1968 wurde die Stadtbibliothek von Haven in der frisch gestrichenen und neu hergerichteten Methodistenpfarrei eröffnet, und Ruth McCausland war ehrenamtliche Bibliothekarin, eine Tätigkeit, die sie bis 1973 beibehielt. An dem Tag, als sie sich zurückzog, hängten die Verwalter ein Foto von ihr über den Kamin im Lesesaal. Ruth protestierte, aber dann gab sie nach, als ihr klar wurde, dass sie sie ehren würden, ob sie diese Ehrung nun wollte oder nicht. Ihr wurde klar, dass sie ihre Gefühle verletzen, sie aber nicht von ihrem Vorgehen abhalten konnte. Sie mussten sie ehren. Die Bibliothek, die sie im Alleingang begründet hatte, indem sie in eine von Ralphs alten rotkarierten Jagdjacken eingemummt auf dem kalten Fußboden des Pfarrhauses gesessen und geduldig Bücherkisten durchgesehen hatte, bis ihre Hände taub wurden und ihr Atem vor Mund und Nasenlöchern kondensierte, war im Jahre 1972 zu Maines Kleinstadtbibliothek des Jahres erklärt worden.

    Unter anderen Umständen hätte sich Ruth darüber gefreut, aber 1972 und 73 freute sie sich über sehr wenig. neunzehnhundertzweiundsiebzig war das Jahr in dem Ralph McCausland starb. Im späten Frühjahr fing er an, über heftige Kopfschmerzen zu klagen. Im Juni wurde eine Einblutung im Auge sichtbar. Die Röntgenaufnahme enthüllte einen Gehirntumor. Er starb im Oktober, zwei Tage vor seinem siebenunddreißigsten Geburtstag.
    Im Bestattungsinstitut schaute Ruth lange in den offenen Sarg. Sie hatte im Lauf der vergangenen Woche fast ununterbrochen geweint, und sie vermutete, dass es in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr Tränen zu vergießen gab – vielleicht ganze Ozeane. Aber sie hätte ebenso wenig in der Öffentlichkeit geweint, wie sie dort nackt erschienen wäre. Allen Anwesenden (und das war praktisch fast jedermann) kam sie so gefasst und ausgeglichen wie immer vor.
    »Leb wohl, Liebling«, sagte sie schließlich und küsste ihn auf den Mundwinkel. Sie nahm seinen Polizeiring vom Mittelfinger seiner rechten Hand und schob ihn auf den Mittelfinger ihrer eigenen. Am nächsten Tag fuhr sie zu G. M. Pollock in Bangor und ließ ihn anpassen. Sie trug ihn bis zum Tag ihres Todes, und obwohl ihr bei ihrem gewaltsamen Tod der Arm von der Schulter gerissen werden sollte, hatten weder Bent noch Jingles Mühe, diesen Ring zu identifizieren.
    2
    Die Bibliothek war nicht der einzige Dienst, den Ruth der Stadt erwies. In jedem Herbst sammelte sie für die Krebshilfe, und in jedem der sieben Jahre, in denen sie das tat, brachte sie die größte Summe in der Kategorie Kleinstadt der Main Cancer Society zusammen. Das Geheimnis ihres Erfolges war einfach: Ruth ging überall hin. Sie redete freundlich und furchtlos mit den Anwohnern anrüchiger Straßen, die buschige Brauen und tief liegende Augen hatten und manchmal beinahe so gefährlich aussahen wie die knurrenden Hunde auf ihren mit den toten und verfallenden Leibern alter Autos und Landmaschinen voll gestopften Hinterhöfen. In den meisten Fällen erhielt sie eine Spende. Vielleicht ließen sich einige vor Überraschung dazu verleiten, weil es so lange her war, dass sie Gesellschaft gehabt hatten.
    Sie wurde nur einmal von einem Hund gebissen. Aber das war die Erinnerung wert. Der Hund selbst war nicht groß, aber er hatte eine Menge Zähne.
    Auf dem Briefkasten stand MORAN. Außer dem Hund war niemand zu Hause. Der Hund kam knurrend um das Haus herum, während sie klopfend vor der ungestrichenen Haustür auf der Veranda stand. Sie hielt ihm eine Hand hin, und Mr. Morans Hund biss unverzüglich hinein, dann wich er zurück und pinkelte vor Aufregung auf die Veranda. Ruth ging die Verandatreppe herab, holte ein Taschentuch aus der Handtasche und wickelte es um ihre blutende Hand. Der Hund sprang hinter ihr her und biss sie noch einmal, diesmal ins Bein. Sie trat nach ihm, und er schreckte zurück, aber während sie auf ihren Dart zuhinkte, kam er hinter ihr her und biss sie ein drittes Mal. Das war der einzige ernste Biss. Mr. Morans Hund riss ein

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