Das Monstrum
Schritte vor dem Rumpf des abgewrackten Trucks zum Stehen, der leise mitten auf der Straße stand.
»Bitte gib das Klopapier rüber«, sagte Jingles mit leiser, zitternder Stimme.
Sie stiegen aus und öffneten beide, ohne viel zu überlegen, die Pistolenhalfter. Der Geruch von verbranntem Gummi hing in der Sommerluft.
»Was soll denn die Scheiße?«, rief Jingles, und Bent dachte: Er spürt es auch. Dies ist nicht richtig, es ist ein Teil von dem, was in dieser unheimlichen kleinen Stadt vor sich geht, und er spürt es auch.
Eine Brise kam auf, und Bent hörte einen Augenblick Leinwand steif flattern, und eine Plane glitt mit einem klapperschlangenähnlichen Laut von etwas auf der Ladefläche des Pick-ups herunter. Bent spürte, wie seine Eier hastig nordwärts kletterten. Es sah aus wie der Lauf einer Bazooka. Er wollte sich hinwerfen, als er zu seiner Verblüffung erkannte, dass die Bazooka nur ein Stück gewelltes Abflussrohr in einer Art hölzernem Gestell war. Nichts, wovor man sich fürchten musste. Aber er fürchtete sich. Er war entsetzt.
»Diesen Lastwagen habe ich eben in Haven gesehen, Bent. Vor dem Restaurant geparkt.«
»Wer ist da?«, rief Bent.
Keine Antwort.
Er sah Jingles an. Jingles, dessen Augen in dem weißen Gesicht geweitet und dunkel wirkten, erwiderte den Blick.
Bent dachte plötzlich: Mikrowelleninterferenz? War es wirklich das, was verhindert hat, dass wir durchkamen?
»Wenn jemand in diesem Lastwagen ist, sollte er lieber herauskommen?«, rief Bent. »Sonst …«
Ein schrilles, irres Kichern ertönte von der Pritsche, dann war es wieder still.
»Himmel, das gefällt mir nicht«, stöhnte Jingles Gabbons.
Bent trat einen Schritt vor und hob seine Waffe, und plötzlich war die Welt von grünem Licht erfüllt.
Kapitel fünf
Ruth McCausland
1
Ruth Arlene Merrill McCausland war fünfzig, aber sie sah zehn Jahre jünger aus – an einem guten Tag sogar fünfzehn. Alle in Haven waren sich darin einig, dass sie, ob Frau oder nicht, der verdammt beste Constable war, den die Stadt je gehabt hatte. Manche sagten, das läge daran, dass ihr Mann State Trooper gewesen war. Andere sagten, es läge einfach daran, dass Ruth Ruth war. Wie auch immer, alle waren sich darin einig, dass Haven sich glücklich schätzen konnte, sie zu haben. Sie war streng, aber gerecht. Sie konnte bei einem Notfall ihre fünf Sinne beisammenhalten. Das alles sagten die Leute von Haven von ihr, und noch mehr. In einer Kleinstadt in Maine, die von Männern regiert wurde, seit es eine Stadt zu regieren gab, waren solche Aussagen von einiger Bedeutung. Das war nur recht und billig: Sie war eine bemerkenswerte Frau.
Sie wurde in Haven geboren und wuchs dort auf; sie war sogar die Großnichte des Reverend Mr. Donald Hartley, den im Jahre 1901 der Beschluss der Gemeinde, ihren Namen zu ändern, so hart getroffen hatte. 1955 war sie vorzeitig zum Studium an der Universität von Maine zugelassen worden – in der Geschichte der Universität war sie erst die dritte Studentin, die im zarten Alter von siebzehn Jahren als Vollstudentin anerkannt wurde. Sie schrieb sich in der juristischen Fakultät ein.
Im darauffolgenden Jahr verliebte sie sich in Ralph McCausland, der gleichfalls Jura studierte. Er war groß; mit seinen eins fünfundachtzig war er aber immer noch eine Handbreit kleiner als sein Freund Anthony Dugan (der von seinen Freunden Butch, von seinen zwei oder drei engsten Freunden Monster genannt wurde), aber er überragte Ruth um gut einen Kopf. Für so einen großen Mann war er seltsam – beinahe absurd – anmutig und gutmütig. Er wollte Polizist werden. Als Ruth ihn fragte, weshalb, sagte er, weil sein Vater einer gewesen war. Er brauchte kein juristisches Examen, um Bulle zu werden, erklärte er ihr; um Polizist zu werden, genügten ein Highschool-Abschluss, gute Augen, gute Reflexe und ein sauberes Führungszeugnis. Aber Ralph wollte mehr, als seinem Vater die Ehre erweisen, dass er in seine Fußstapfen trat. »Ein Mann, der einen Job beginnt und nichts dafür tut, dass er weiterkommt, ist entweder faul oder dumm«, sagte er eines Abends bei einer Cola im Bear’s Den zu Ruth. Er sagte ihr nicht, dass er hoffte, eines Tages Polizeichef von Maine zu werden, weil er sich scheute, von seinen Ambitionen zu sprechen. Aber Ruth wusste es auch so.
Sie akzeptierte Ralphs Heiratsantrag im darauffolgenden Jahr unter der Bedingung, dass er wartete, bis sie ihr Examen gemacht hatte. Sie wollte nicht als Juristin
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