Das Monstrum
absichtlich, vermutete sie, damit sie Nachgebühr entrichten musste. Darin steckten außerdem ein Zettel und eine Eindollarnote mit einem großen braunen Fleck darauf. ICH HABE MIR
DAMIT DEN ARSCH ABGEWISCHT, DU ACHLAMPE! verkündete der Zettel triumphierend. Er war mit der großen krakeligen Handschrift eines Erstklässlers mit motorischen Störungen geschrieben worden. Ruth hielt den Geldschein an einer Ecke und warf ihn zu der übrigen Wäsche in die Maschine. Als er wieder herauskam (sauber; Mr. Moran schien unter anderem auch nicht zu wissen, dass Scheiße abwaschbar ist), bügelte sie ihn. Danach war er nicht nur sauber, sondern auch steif; er hätte erst gestern von der Bank gekommen sein können. Sie warf ihn in den Segeltuchbeutel, in dem sie alles verwahrte, was sie gesammelt hatte. In ihr Kassenbuch trug sie ein: B. Moran, gespendete Summe: $ 1,00.
3
Die Stadtbibliothek von Haven. Die Krebshilfe. Die New-England-Konferenz der Kleinstädte. Ruth diente Haven bei allem. Sie war außerdem in der Methodistenkirche aktiv; es gab selten ein Essen, bei dem nicht ein Gericht von Ruth McCausland dabei war, oder einen Basar, bei dem kein Kuchen oder selbst gebackenes Brot von Ruth McCausland verkauft wurde. Sie hatte im Schulrat und im Schulbuchkomitee mitgearbeitet.
Die Leute sagten, sie wussten nicht, wie sie das alles machte. Wenn man sie direkt darauf ansprach, dann lächelte sie und sagte, dass sie der Überzeugung war, emsige Hände wären glückliche Hände. Man hätte vermuten können, dass sie bei all diesen Aktivitäten keine Zeit für Hobbys mehr haben würde … aber sie hatte sogar zwei. Sie las gern (besonders gefielen ihr Bobbi Andersons Westernromane;
sie besaß sie alle, mit handschriftlicher Widmung), und sie sammelte Puppen.
Ein Psychiater hätte Ruths Puppensammlung mit ihrem unerfüllten Wunsch nach Kindern gleichgesetzt. Ruth, die ansonsten nicht viel von Psychiatern hielt, hätte zugestimmt. Jedenfalls bis zu einem gewissen Punkt. Aus welchen Gründen auch immer, sie machen mich glücklich, hätte sie gesagt, wenn man sie auf den Standpunkt des Psychiaters hingewiesen haben würde. Und ich bin der Meinung, Glück ist das Gegenteil von Traurigkeit, Bitterkeit und Hass: Glück sollte so lange wie möglich unerforscht bleiben.
In den ersten Jahren in Haven teilten sie und Ralph sich ein Arbeitszimmer. Das Haus war so groß, dass jeder eines für sich selbst hätte haben können, aber sie waren abends gern zusammen. Das große Arbeitszimmer hatte aus zwei Räumen bestanden, bevor Ralph die Zwischenwand herausgenommen und damit ein Zimmer geschaffen hatte, das sogar noch größer war als das Wohnzimmer unten. Ralph hatte seine Münz – und Streichholzschachtelsammlung, ein Bücherregal (Ralphs Bücher waren ausnahmslos Sachbücher, die meisten über Militärgeschichte) und einen alten Sekretär, den Ruth persönlich renoviert hatte.
Für Ruth machte er etwas, was sie beide als »das Schulzimmer« bezeichneten.
Etwa zwei Jahre, bevor die Kopfschmerzen anfingen, sah Ralph, dass Ruth der Platz für ihre Puppen ausging (inzwischen saß sogar eine Reihe auf ihrem Schreibtisch, und manchmal fiel eine herunter, wenn sie tippte). Sie saßen auf dem Sessel in der Ecke, sie ließen ihre kleinen Beinchen nonchalant von den Fensterbänken herabbaumeln, und dennoch mussten Besucher manchmal drei oder vier davon auf den Schoß nehmen, wenn sie sich setzen wollten.
Sie hatte eine Menge Besucher, das kam noch dazu; Ruth war zudem Notarin, und es kam oft jemand vorbei, um einen Kaufvertrag beglaubigen oder einen Schuldschein gegenzeichnen zu lassen.
Deshalb baute Ralph in diesem Jahr zu Weihnachten ein Dutzend kleine, kirchenbankähnliche Sitzgelegenheiten für ihre Puppen. Ruth war entzückt. Es erinnerte sie an das einzimmrige Schulhaus, das sie in Crosman Corner besucht hatte. Sie stellte die Bänke in ordentlichen Reihen auf und setzte die Puppen darauf. Danach wurde dieser Teil von Ruths Arbeitszimmer nur noch das Schulzimmer genannt.
Zum nächsten Weihnachtsfest – seinem letzten, wenngleich er sich da noch prächtig fühlte und der Gehirntumor, der ihn schließlich umbringen sollte, erst ein mikroskopisch kleiner Punkt in seinem Gehirn war – schenkte Ralph ihr vier neue Bänke, drei neue Puppen und eine zu den Bänken passende Tafel. Mehr war nicht vonnöten, um eine freundliche Schulzimmeratmosphäre zu erzeugen.
Auf der Tafel standen die Worte:
» Liebe Lehrerin, ich liebe Dich von ganzem
Weitere Kostenlose Bücher