Das Monstrum
Herzen – EIN HEIMLICHER VEREHRER.«
Erwachsene ließen sich von Ruths Schulzimmer verzaubern. Die meisten Kinder waren ebenfalls verzaubert, und Ruth freute sich immer, wenn Kinder – Jungen ebenso wie Mädchen – mit den Puppen spielten, obwohl viele wertvoll und einige der besonders alten sehr zerbrechlich waren. Einige Eltern wurden ziemlich nervös, wenn ihnen klar wurde, dass ihre Kinder mit einer Puppe aus dem vorkommunistischen China spielten oder mit einer, die der Tochter von Oberrichter John Marshall gehört hatte. Ruth war eine gütige Frau; wenn sie spürte, dass Eltern wirklich nervös wurden, wenn einem Kind ihre Puppen Freude bereiteten, dann holte sie eine Barbie und einen Ken hervor, die sie für solche
Gelegenheiten aufbewahrte. Die Kinder spielten damit, aber lustlos, als wäre ihnen klar, dass die wirklich guten Puppen außer Reichweite gebracht worden waren. Wenn Ruth jedoch spürte, dass Eltern nur deshalb Nein sagten, weil sie es irgendwie unhöflich fanden, dass ihre Kinder mit den Spielsachen der erwachsenen Dame spielten, dann machte sie ihnen klar, dass sie das überhaupt nicht störte.
»Haben Sie keine Angst, dass ein Kind einmal welche kaputt macht?«, hatte Mabel Noyes sie gelegentlich gefragt, Mabels Junque-A-Torium war gepflastert mit Schildern wie HÜBSCH ANZUSEHEN, HERRLICH ZU HALTEN, DOCH WER ES KAPUTT MACHT, DER MUSS ES BEHALTEN. Mabel wusste, dass die Puppe, die Richter Marshalls Tochter gehört hatte, mindestens sechshundert Dollar wert war – sie hatte einem Händler mit wertvollen Puppen in Boston ein Bild davon gezeigt, und er hatte vierhundert gesagt, daher ging sie davon aus, dass sechshundert ein fairer Preis war. Dann hatte sie eine Puppe, die Anna Roosevelt gehört hatte … eine echte haitianische Voodoopuppe … und Gott allein wusste, was sonst noch, und diese saßen Wange an Wange und Schenkel an Schenkel mit so gewöhnlichen alten Dingen wie Raggedy Ann und Andy.
»Kein Stück«, hatte Ruth geantwortet. Sie fand Mabels Einstellung so unbegreiflich wie Mabel ihre. »Wenn Gott möchte, dass eine dieser Puppen zerbrochen wird, dann kann Er sie selbst zerbrechen, oder Er kann ein Kind schicken, es zu tun. Aber bislang hat noch kein Kind eine zerbrochen. Oh, es sind ein paar Köpfe gerollt, und Joe Pell hat etwas mit der Zugschnur in Mrs. Beasleys Rücken gemacht, sodass sie jetzt nur noch so etwas wie ›Möchtest du duschen?‹ sagt, aber mehr Schaden ist noch nicht angerichtet worden.«
»Ich bin trotzdem der Ansicht, dass Sie mit so zerbrechlichen,
unersetzbaren Sachen ein ungeheures Risiko eingehen«, sagte Mabel. Sie schnaubte. »Manchmal glaube ich, ich habe in meinem ganzen Leben nur eines gelernt, nämlich, dass Kinder Sachen kaputt machen.«
»Nun, vielleicht habe ich einfach Glück gehabt. Aber sie sehen sich wirklich vor. Ich glaube, weil sie sie lieben.« Ruth verstummte und runzelte ein wenig die Stirn. »Jedenfalls die meisten«, fügte sie nach einem Augenblick hinzu.
Dass nicht alle Kinder mit den »Kindern im Schulzimmer« spielen wollten – dass manche sich regelrecht vor ihnen fürchteten –, war eine Tatsache, die sie verwirrte und bekümmerte. Zum Beispiel die kleine Edwina Thurlow. Edwina war in schrille Schreie ausgebrochen, als ihre Mutter sie bei der Hand genommen und buchstäblich zu den ordentlichen Reihen der Puppen gezerrt hatte, die aufmerksam auf ihre Tafel blickten. Mrs. Thurlow fand, dass Ruths Puppen einfach das Reizendste waren, so putzig wie eine spielende Katze, so süß wie Schlagsahne; wenn es noch andere ländliche Klischees für »faszinierend« gab, dann hatte Mrs. Thurlow sie zweifellos auf Ruths Puppen angewendet, und es war ihr unmöglich, der Angst ihrer Tochter vor ihnen Rechnung zu tragen. Sie glaubte, Edwina wäre »nur schüchtern«. Ruth, die das klar unmissverständliche Funkeln der Angst in Edwinas Augen gesehen hatte, war es nicht gelungen, die Mutter (die Ruth für eine dumme, dickköpfige Frau hielt) davon abzuhalten, das Kind nahezu körperlich auf die Puppen zu stoßen.
Norma Thurlow hatte also die kleine Edwina durch das Schulzimmer gezerrt, und die Schreie der kleinen Edwina waren so laut gewesen, dass Ralph vom Keller heraufgerannt war, wo er Stühle renoviert hatte. Es dauerte zwanzig Minuten, Edwina aus ihrer Hysterie zu locken, und natürlich musste sie nach unten gebracht werden, weg von den
Puppen. Norma Thurlow war krank vor Verlegenheit, und jedes Mal, wenn sie einen finsteren Blick in
Weitere Kostenlose Bücher