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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Trauerzeit nun vorbei war. Eine Sache (von vielen), die der unglückliche Mumphry nicht verstanden hatte, war die, dass der Erdrutschsieg bei der Wahl zumindest teilweise Havens Art war, zu rufen: »Hurra, Ruth, schön, dass du wieder da bist!«

    Ralphs Tod war plötzlich und schockierend gewesen, und es fehlte nicht viel daran – verdammt wenig sogar –, dass er den Teil in ihr abtötete, der großzügig und gütig war. Sie wusste, dass dieser Teil den dominanten Teil ihrer Persönlichkeit besänftigte und im Zaum hielt. Dieser dominante Teil war klug, listig, logisch und – wenngleich sie es ungern zugab, sie wusste es dennoch – manchmal lieblos.
    Sie kam zu der Überzeugung, wenn sie die großzügige, gütige Seite ihrer Persönlichkeit sterben ließ, dann wäre das so, als würde sie Ralph ein zweites Mal töten. Und deshalb kam sie nach Haven zurück. Kam zurück, um zu dienen.
    In einer Kleinstadt kann schon ein derartiger Mensch eine gravierende Veränderung des Klimas und dessen bewirken, was die Wortgewandten gern die »Lebensqualität« nennen; ein derartiger Mensch kann tatsächlich so etwas wie das Herz der Stadt werden. Ruth war auf bestem Wege gewesen, ein solch wertvoller Mensch zu werden, als ihr Mann starb. Zwei Jahre später – nach einer Zeit, die ihr in der Rückschau wie ein langer, trostloser Aufenthalt in der Hölle vorkam – hatte sie diesen wertvollen Menschen wiederentdeckt, ungefähr so, wie man in einer dunklen Dachbodenecke etwas halbwegs Hübsches wieder finden kann – ein Kaleidoskop oder einen dekorativen Schaukelstuhl, der noch brauchbar ist. Sie hielt es ans Licht, vergewisserte sich, dass es heil war, staubte es ab, polierte es auf und brachte es wieder in ihr Leben zurück. Die Kandidatur zur Stadtpolizistin war nur der erste Schritt gewesen. Sie konnte nicht sagen, weshalb es ihr so richtig erschien, aber das war es – es schien die perfekte Lösung zu sein, einerseits Ralphs zu gedenken und andererseits damit fortzufahren, sie selbst zu sein. Sie stellte sich vor, dass die Arbeit wahrscheinlich langweilig und uninteressant sein würde, aber das waren auch die Spendensammlungen für die Krebshilfe
und die Arbeit im Schulbuchkomitee gewesen. Langweilig und uninteressant bedeutete nicht, dass eine Arbeit nutzlos war, ein Sachverhalt, den die meisten Menschen nicht zu wissen oder wissentlich zu ignorieren schienen. Und, sagte sie sich, wenn es ihr wirklich keinen Spaß machte, dann konnte kein Gesetz sie zwingen, sich zur Wiederwahl zu stellen. Sie wollte dienen, nicht, sich zum Märtyrer machen. Wenn ihr die Arbeit zuwider war, dann würde sie Mumphry oder sonst wem seine Chance lassen.
    Aber Ruth stellte fest, dass ihr die Arbeit Spaß machte. Zunächst einmal gab sie ihr die Möglichkeit, mit einigen der üblen Zustände aufzuräumen, die der alte John Harley geduldet und gegen deren Ausufern er nichts unternommen hatte.
    Zum Beispiel Del Cullum. Die Cullums lebten schon seit undenklichen Zeiten in Maine, und Delbert – ein Automechaniker mit buschigen Brauen, der in Elt Barkers Shell-Tankstelle arbeitete – war wahrscheinlich nicht der Erste von ihnen, der sexuellen Umgang mit seinen Töchtern pflegte. Die Ahnenreihe der Cullums war unglaublich verworren und inzüchtig; Ruth wusste von mindestens zwei katastrophal zurückgebliebenen Cullums in Pineland (wollte man dem Klatsch im Ort glauben, war einer davon mit Schwimmhäuten zwischen Fingern und Zehen zur Welt gekommen).
    Inzest gehört zu jenen altehrwürdigen ländlichen Traditionen, über die die romantischen Dichter selten schreiben. Dieser traditionelle Aspekt mag der Grund dafür gewesen sein, dass John Harley niemals ernsthaft versucht hatte, dem ein Ende zu bereiten, aber Ruth war nicht bereit, »Tradition« in einer so grotesken Ausprägung gelten zu lassen. Sie stattete den Cullums einen Besuch ab. Es wurde laut. Albion Turlow hörte das Brüllen ganz deutlich, obwohl er
eine Viertelmeile entfernt wohnte und auf einem Ohr taub war. Dem Brüllen folgte das Geräusch einer angeworfenen Motorsäge, diesem wiederum ein Schuss und ein Schrei. Dann verstummte die Motorsäge, und Albion, der mittlerweile auf der Straße stand und mit einer Hand die Augen abschirmte, während er zum Haus der Cullums sah, hörte Mädchenstimmen (Delbert war mit dem Fluch von Mädchen geschlagen, sechs Mädchen, und diese waren natürlich buchstäblich sein Fluch und er ihrer), die aufgeregt durcheinanderschrien.
    Als Albion später

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