Das Monstrum
THROUGH THE JUNGLE«
Ich schlief und hatte einen Traum. Diesmal war keine Verkleidung zu sehen. Ich war die böse männlich-weibliche Zwergengestalt, das Prinzip der Freude in der Zerstörung; und Saul war mein Widerpart, männlich-weiblich, mein Bruder und meine Schwester, und wir tanzten an einem offenen Ort, unter riesigen weißen Bauwerken, voll von bösen, bedrohlichen schwarzen Maschinen, die Zerstörung in sich bargen. Aber in dem Traum waren er und ich, oder sie und ich, freundlich, wir waren nicht feindlich, wir waren in gehässiger Bösartigkeit vereint. Dieser Traum hatte ein schreckliches sehnsüchtiges Verlangen, die Sehnsucht nach dem Tod. Wir näherten uns einander und küssten uns voller Liebe. Es war schrecklich, und das wusste ich selbst im Traum. Denn in diesem
Traum erkannte ich die anderen Träume, die wir alle haben, wenn sich der Inbegriff von Liebe und Zärtlichkeit in einem Kuss oder einer Liebkosung konzentriert, aber jetzt war es die Liebkosung zweier halbmenschlicher Geschöpfe, die die Zerstörung feierten.
DORIS LESSING
DAS GOLDENE NOTIZBUCH
Kapitel eins
Schwesterchen
1
»Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug«, sagte die Stewardess am Ausgang zu der etwa vierzigjährigen Frau, die zusammen mit einem Rinnsal anderer Passagiere, die bis nach Bangor, der Endstation, durchgehalten hatten, den Delta-Flug 230 verließ.
Bobbi Andersons Schwester Anne, die vierzig war, aber wie fünfzig aussah und auch so dachte (Bobbi pflegte zu sagen, dass Anne schon wie eine Frau von fünfzig gedacht hatte, seit sie dreizehn gewesen war), blieb stehen und maß die Stewardess mit einem Blick, der eine Uhr zum Stehenbleiben gebracht hätte.
»Ich will Ihnen was sagen, Schätzchen«, sagte sie. »Ich schwitze. Meine Achselhöhlen stinken, weil das Flugzeug von La Garbage mit Verspätung startete und von Logan mit noch größerer Verspätung. Die Luft war böig, und ich hasse das Fliegen. Die Praktikantin, die sie nach hinten in die Viehklasse geschickt haben, hat mir den Screwdriver von irgendwem über das Kleid geschüttet, und jetzt trocknet überall auf meinem Arm Orangensaft zu einer feinen Craquelé-Glasur. Mein Schlüpfer klebt mir in der Arschfurche, und diese kleine Stadt sieht aus wie ein Pickel auf dem Schwanz von Neuengland. Noch Fragen?«
»Nein«, brachte die Stewardess hervor. Ihre Augen waren glasig geworden, und ihr war zumute, als hätte sie soeben
drei schnelle Runden mit Bumm-Bumm Mancini hinter sich, und zwar an einem Tag, an dem Mancini die ganze Welt hasste. Diese Wirkung hatte Anne Anderson häufig auf andere Menschen.
»Schön für Sie, meine Gute.« Anne marschierte an der Stewardess vorbei die Gangway hinab, und dabei schwenkte sie eine große, schreiend purpurne Henkeltasche. Die Angestellte hatte keine Gelegenheit, ihr einen angenehmen Aufenthalt in der Gegend von Bangor zu wünschen. Aber sie beschloss, dass es ohnehin vergebene Liebesmüh gewesen wäre. Die Dame sah aus, als hätte sie noch nie irgendwo einen angenehmen Aufenthalt gehabt. Sie ging zielstrebig, aber sie sah aus wie eine Frau, die trotz irgendwelcher Schmerzen weiterging – wie die kleine Meerjungfrau, die gegangen war, obwohl sie bei jedem Schritt das Gefühl hatte, als schnitten Messer in ihre Füße.
Und die Stewardess dachte: Wenn die Alte irgendwo einen Geliebten im Ärmel hat, dann hoffe ich nur, dass er über die Paarungsgewohnheiten der Falltürspinne Bescheid weiß.
2
Die Angestellte von Avis sagte Anne, dass keine Wagen mehr verfügbar wären; wenn Anne keine Reservierung vorgenommen hätte, sei leider nichts zu machen. Es war Sommer in Maine, und Mietwagen waren nur mit Aufschlag erhältlich.
Das war ein Fehler seitens der Angestellten. Ein schwerer.
Anne lächelte grimmig, spuckte sich im Geiste in die Hände und ging ans Werk. Situationen wie diese waren
wie das tägliche Brot für Schwester Anne, die ihren Vater gepflegt hatte, bis er am 1. August, vor acht Tagen, eines elenden Todes gestorben war. Sie hatte sich geweigert, ihn in ein Pflegeheim bringen zu lassen; stattdessen hatte sie selbst ihn gewaschen, seine wund gelegenen Stellen behandelt, seine Inkontinenz-Windeln gewechselt und ihm mitten in der Nacht seine Tabletten gegeben. Natürlich hatte sie ihn in seinen letzten Schlaganfall getrieben, indem sie ihn ständig bedrängte, das Haus in der Leighton Street zu verkaufen (er wollte es nicht; sie war fest entschlossen, dass er es tun würde; der letzte, große Schlaganfall,
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