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Das Moor Des Vergessens

Das Moor Des Vergessens

Titel: Das Moor Des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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beim Aufstehen und im Bad half. Als die Frau heute früh kam, fand sie Tillie auf dem Boden im Badezimmer. Vielleicht ist sie gefallen, vielleicht ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt.«
    »Die arme Frau. Man würde sich nicht wünschen, so zu sterben, oder? Im Bad auf dem Boden liegen und spüren, wie das Leben zu Ende geht. Man mag gar nicht darüber nachdenken. Allein zu sterben muss schon schlimm genug sein, ohne dass man auch noch seine Würde dabei verliert.« Allan fuhr mit dem Daumen an der Seite des Glases hinauf und herunter. »Ich glaube, im Tod gibt es keine Würde, in welcher Form er auch kommt. Wir können nur versuchen, in Würde zu leben.«
    Jane fiel darauf keine Antwort ein. »Es ist ein bisschen unheimlich, findest du nicht? Zwei Todesfälle innerhalb von ein paar Tagen. Das scheint ziemlich viel für so einen kleinen Ort. Besonders, da beide Frauen mit dem Projekt zu tun haben, an dem ich gerade arbeite.«
    Allan zuckte die Schultern. »Es ist nur ein Zufall. Ich weiß nicht, warum das passiert, aber alte Leute scheinen oft zu mehreren kurz hintereinander zu sterben. Es ist, als ob einer geht und drei oder vier weitere beschließen, ebenfalls den Geist aufzugeben. Ich finde es nicht merkwürdig, dass sie beide aus der gleichen Familie sind. Alle hier sind irgendwie mit allen anderen verwandt. Du bist irgendwie mit dem halben Dorf verbunden, vergiss das nicht.« »Ja, ich nehme an, das stimmt.« Jane trank ihren Kaffee aus und stand auf. »Ich muss gehen. Ich besuche zwei Leute in Keswick.«
    »Wo ist deine Mutter?« »Sie pflückt Holunderbeeren.«
    »Ist es dieses Jahr schon so weit? Die Zeit vergeht immer schneller.«
    Jane küsste ihren Vater auf die Wange. »Hör auf, so zu tun, als wärst du ein alter Mann.«
    Allan verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Wer sagt, ich tu nur so?«
    Anderthalb Stunden später verabschiedete sich Jane von Eddie Fairfield, einem gebrechlichen Zweiundachtzigjährigen mit wässerigen Augen und ledriger Haut, dessen silbernes Haar einen Gelbstich von der Nikotinwolke aus seiner Pfeife hatte, die ihn ständig umgab. »Ich hab's aufgegeben, als ich fünfzig war, hab mir dann geschworen, wenn ich es bis achtzig schaffen würde, fang ich wieder an. Das Beste, was ich je getan hab, mein einziges Vergnügen dieser Tage«, hatte er gesagt, nachdem er Jane höflich um Erlaubnis gebeten hatte, rauchen zu dürfen. »Ich schaff's kaum bis zum Ende der Straße und kann mich ums Verrecken nicht daran erinnern, was ich gestern Abend gegessen habe. Unser Mädchen bringt mir jeden Abend ein warmes Essen, sonst würd ich wahrscheinlich überhaupt nicht daran denken, etwas zu mir zu nehmen. Mein Sohn wollte, dass ich in ein Heim gehe, aber ich hab ihm gesagt, solange ich noch schnaufen kann, bleib ich in meinen eigenen vier Wänden. Sind Sie mal in einem von diesen Altenheimen gewesen?« Jane hatte kaum Zeit, dies zuzugeben, bevor er fortfuhr: »'ne Menge alte Frauen, die in die Luft gucken. Oder sie sind nicht bei Trost und unruhig wie 'n Sack Flöhe und denken, sie wären wieder achtzehn. Kein Mann ist vor diesen bekloppten alten Weibern sicher, wissen Sie. Man würde doch denken, dass sie inzwischen das Interesse verloren hätten, aber weit gefehlt.« Er zwinkerte ihr lächelnd zu. »Wenn sie nur halb so bereitwillig gewesen wären, als sie wirklich achtzehn waren, hätten sie viele junge Burschen sehr glücklich gemacht, das kann ich Ihnen sagen.«
    Er hatte darauf bestanden, ihr einen schwachen Milchkaffee zu machen, und war von der Küche mit einem Teller Schokoladenkekse ins Wohnzimmer getrippelt. »Ich krieg ja nicht oft Besuch von einem hübschen jungen Mädchen«, sagte er. »Da kann ich Sie ja wenigstens herzlich empfangen.« Als sie endlich auch ein paar Worte sagen konnte und den Zweck ihres Besuchs erklärt hatte, wurde er ganz aufgeregt.
    »Ja, ich hab von dem Mädchen da gehört, als ich noch 'n Stift war«, sagte er, und sein Dialekt wurde ausgeprägter, als er sich in die Vergangenheit zurückversetzte. Jane spürte eine leise Erregung. War dies der Anfang des Endes ihrer Mission? »Wirklich?«, sagte sie. »Was haben Sie gehört?«
    Er schloss die Augen. »Lassen Sie mich überlegen. Es war meine Granny Beattie, die davon gesprochen hat. Sie war eine geborene Clewlow. Beatrice Clewlow, geboren 1880. Sie war die Älteste. Ihre Eltern, Arthur und Annie, hatten vier Kinder: Beattie; Alice, die zu Hause blieb und nie geheiratet hat; Edward, der in der

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