Das Moor Des Vergessens
Schultern hatte, versuchte sie es trotzdem. »Ich muss ihn sehen«, sagte sie. »Es geht um eine Familienangelegenheit.«
Er warf ihr einen ungläubigen Blick zu. »Das glaub ich nicht.«
»Bitte. Sagen Sie ihm, Jane Gresham muss wegen einer Familienangelegenheit mit ihm sprechen. Ich warte.« »Das könnte ziemlich lang dauern, Jane Gresham.« Er drückte leicht gegen die Tür, und sie ließ die Hand sinken. Sie hoffte, dass die Frau an der Bushaltestelle die Wahrheit gesagt hatte, als sie ihr erzählte, Hammer behalte Tenille im Auge. Wenn es stimmte, würde er wissen, wie wichtig Jane in Tenilles Leben war. Vielleicht genügte das, um ihr Zutritt zu verschaffen.
Sie ging zwischen Tür und Aufzug hin und her, und es schien ihr sehr lange zu dauern, aber wahrscheinlich waren es nur zwei Minuten. Als sie hörte, dass die Tür aufging, wirbelte sie herum und erblickte den gleichen jungen Mann, der ihr ein Zeichen gab, sie solle hereinkommen. »Ein Glückstag für Sie«, sagte er. »Mr. Hampton hat sehr viel zu tun, aber er kann sich fünf Minuten für Sie Zeit nehmen.« »Das reicht mir schon.« Sie folgte ihm in die Wohnung, die keiner der anderen in Marshpool Farm glich, die sie gesehen hatte. Der dicke Teppich im Flur passte zum Dunkelrot der Wohnungstür, und die hell gestrichenen Wände waren mit gerahmten Fotos von Sportwagen geschmückt. Der Mann winkte ihr, sie solle ins Wohnzimmer kommen, und schloss dann die Tür hinter ihr. Im Zimmer roch es leicht nach Sandelholz. Ein kleiner, stämmiger Schwarzer in Jeans und weißem T-Shirt saß ihr gegenüber auf einem cremefarbenen Ledersofa unter einem riesigen Druck von einem der Film-Noir-Bilder im Goldrahmen von Jack Vettriano. Sein Kopf war so glatt wie eine Bowlingkugel, und die braunen Augen lagen tief in den Höhlen, als seien sie die Löcher für die Finger. Jane war nie so nah an John Hampton herangekommen, hatte ihn nur aus der Ferne gesehen. So war sie nicht auf seine starke Ausstrahlung vorbereitet. Hinterher hätte sie das Zimmer nicht beschreiben können, denn seine Gegenwart beherrschte ihr ganzes Bewusstsein. Sie begriff sofort, wie John Hampton es zu der Macht gebracht hatte, die er ausübte.
»Dr. Jane Gresham«, sagte er mit tiefer grollender Bassstimme. »Was bringt eine Englischdozentin dazu, mich zu besuchen und von Familie zu sprechen?« »Ich möchte mit Ihnen über Tenille reden«, sagte sie und bemühte sich, nicht zu zeigen, wie entnervt sie war. »Darf ich mich setzen?«
Er wies auf einen zu der Couch passenden Sessel in der Ecke. »Bitte. Tenille?«, sagte er und tat so, als versuche er krampfhaft, sich zu erinnern, wer das sei. »Eines der Kinder in der Siedlung hier, oder?«
»Die Leute sagen, sie sei Ihre Tochter.« »Die Leute sagen viel, Dr. Gresham. Die meisten reden Blödsinn.« Sein Gesicht war unbewegt, seine Körperhaltung entspannt.
»Es stimmt, dass sie Ihnen nicht ähnlich sieht«, sagte Jane. »Aber ich habe den Verdacht, dass sie Ihren Ehrgeiz geerbt hat. Und Ihre Hartnäckigkeit. Und Ihre Intelligenz.« »Durch Schöntun kriegen Sie keinen Unterhalt aus mir raus, wenn Sie darauf aus sind.«
»Es gibt mehr als eine Art von Unterhalt und Hilfe, Mr. Hampton. Und gerade jetzt braucht Tenille etwas von Ihnen.« Sie konnte kaum fassen, wie unerschrocken sie war. Er seufzte und drehte den Kopf, als seien seine Nackenmuskeln verspannt. »Sie haben Mut, das muss ich zugeben. Aber Sie verwechseln mich mit jemandem, dem was daran liegt.« Jane gab trotzdem nicht auf. Solange sie noch im Zimmer war, hatte sie eine reelle Chance, seine offensichtliche Gleichgültigkeit zu durchbrechen. »Ihre Tante hat einen Freund, Geno Marley. Er hat sich an Tenille herangemacht. Gestern Abend hat er versucht, sie zu vergewaltigen.« Jetzt spürte sie, dass sie seine ganze Aufmerksamkeit hatte, obwohl sie nicht genau hätte sagen können, was sich geändert hatte. »Ich verstehe nicht, warum Sie mir das sagen, Dr. Gresham. Dieser Marley-Typ gehört doch nicht zu meinen Leuten.« »Aber Tenille schon. Und ein Wort von Ihnen würde ihn aus ihrem Leben entfernen.« »Und warum sollte ich das tun?«
Jane zuckte die Schultern. »Wenn sie Ihre Tochter ist, dann liegt die Antwort auf der Hand. Und wenn sie es nicht ist, na ja, dann wäre es trotzdem richtig, es zu tun, oder?« »Halten Sie mich für 'n Sozialarbeiter oder so was? Dass ich dazu da bin, um die Probleme anderer Leute zu lösen?« Sie spürte, dass er mit ihr spielte, aber sie wusste
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