Das Moor Des Vergessens
Für Mädchen ist es ja in Ordnung, aber wir Jungs sehen nicht gern so aus, als wären wir den halben Tag beim Friseur gewesen.«
Als sie den Rand des Dorfes erreichten, schaute Jane aus dem Fenster. Jedes Häuschen hatte sich tief in ihrem Gedächtnis eingeprägt, und sie hätte jedes einzelne in einer Reihe ähnlicher sofort erkannt. Die meisten waren wunderschön und gepflegt, aber hin und wieder gab es ein Haus, das seinen Besitzern entweder gleichgültig war oder die sich die Reparaturen nicht leisten konnten. Die Ortsansässigen fürchteten den Tod dieser Bewohner mehr als den aller anderen, weil die Häuser immer an Auswärtige verkauft wurden, die von der romantischen Vorstellung erfüllt waren, ein Ferienhäuschen im Lake District zu haben, und sich für die Idee begeisterten, ein Schnäppchen gemacht zu haben, das sie dann nach ihren eigenen Vorstellungen verändern konnten. Ihre vollen Brieftaschen hatten sogar die Preise für halb zerfallene Häuser in Höhen getrieben, die für die meisten, die von den im Lakeland erwirtschafteten Einkommen leben mussten, unerschwinglich waren. Der Anblick eines neuen Verkaufsschilds bedrückte Jane. »Was ist mit Miss Forsyth passiert?«, fragte sie.
»Sie hat noch einen Schlaganfall gehabt, kam in dem Haus nicht mehr klar und ist in ein Heim in Keswick gegangen«, sagte ihr Vater knapp, als er den Landrover den schmalen Weg entlangsteuerte, der zum Farmhaus am Dorfrand hinaufführte.
»Ich nehme an, das wird dann also auch ein Ferienhaus«, seufzte Jane. In ihrem kurzen Leben hatte sie bereits erlebt, wie ein Drittel der Häuser im Dorf von Familien, die ihre Vorfahren Hunderte von Jahren zurückverfolgen konnten, in die Hände von Zugezogenen übergingen, die in weit entfernten Supermärkten einkauften und kein Interesse am Dorfleben hatten, außer dass sie es wie eine Rarität in Aspik betrachteten.
»Ich glaube, in der Gegend hier hat niemand genug Geld, es zu kaufen«, stimmte ihr Allan zu. »Allerdings hat ein Paar, das das ganze Jahr hier wohnt, das Haus bei der Post gekauft. Sie macht irgendwas mit Computern, und er veröffentlicht eine Zeitschrift für Wanderer.« Er schüttelte den Kopf. »Hört sich nicht an wie richtige Arbeit, finde ich, aber wenigstens sind es nicht nur Wochenendbesucher.« Allan lenkte den Wagen in die Einfahrt zu ihrem Hof und parkte beim Lammschuppen. Das niedrige Farmhaus schien sich an den Abhang zu schmiegen, und der vom Wetter mitgenommene Stein passte sich nahtlos der Landschaft an. Weiches gelbes Licht fiel aus den Küchenfenstern, deren Umrisse im dichten Nieselregen nur undeutlich zu sehen waren. Sie gingen durch den Regen zur Hintertür und schüttelten sich wie Hunde, als sie im Flur auf den Steinplatten standen. Das herrliche Aroma von Lamm mit Rosmarin und Knoblauch hüllte sie ein und hieß sie willkommen. Judy Gresham erschien an der Küchentür und wischte sich die Hände an ihren Jeans ab. »Jane«, rief sie und strahlte vor Zufriedenheit. Trotz des harten Lebens als Frau eines Bergfarmers sah man Judy ihr Alter nicht an. Sie schien eher etwas über vierzig als die Mittfünfzigerin zu sein, die sie tatsächlich war. Ihr dunkelbraunes Haar war immer noch so dicht und üppig wie damals, als Jane es als Kind so gern um ihre Finger wickelte.
Jane hatte sich stets über den überraschten Ausdruck auf den Gesichtern ihrer Studienfreunde gefreut, wenn sie bei einem Besuch ihre Mutter kennen lernten. Ihr Vater war genauso, wie sie ihn sich vorgestellt hatten - er hatte ein von Wind und Wetter gerötetes Gesicht, war untersetzt und trug einen Overall über Jeans und karierten Hemden. Aber ihre Mutter versetzte sie in Erstaunen. Statt der Frau mit Apfelbäckchen in Faltenrock und Schürze, die für den Stand der Landfrauen zur Melodie von »Jerusalem« die Marmelade rührte, sahen sie sich einer schlanken, gut frisierten Frau in Jeans und schicken Blusen gegenüber, die man in der Öffentlichkeit nie ohne Make-up, Ohrringe und Nagellack sah. Ihr kleines ovales Gesicht war wohlgeformt, und Jane wünschte, sie hätte diese Züge statt der tief liegenden Augen, den breiten Backenknochen und der sehr ausgeprägten Nase ihres Vaters geerbt. Neben ihrer Mutter kam Jane sich immer enttäuschend groß und ungepflegt vor. Aber das war nur ihre eigene Projektion. Judy hatte nie mit einem Blick oder Wort angedeutet, dass sie etwas anderes als Entzücken über die Erscheinung ihrer Tochter empfand.
Jetzt umarmte sie Jane herzlich,
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