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Das Moor Des Vergessens

Das Moor Des Vergessens

Titel: Das Moor Des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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drückte sie und hielt sie dann auf Armeslänge von sich, um sie kritisch zu betrachten. »Das ist ja so schön, dich zu sehen«, sagte sie. »Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, seit du zu Hause warst.« »Es ist doch nur ein paar Wochen her, Mum«, widersprach Jane.
    »Eher Monate.« Ihre Mutter wandte sich der Küche zu, überzeugt, dass Tochter und Mann ihr folgen würden. Der sauber gescheuerte Kiefernholztisch, an dem die Familie unzählige Mahlzeiten eingenommen hatte, war zum Abendessen gedeckt, und Wassergläser glänzten in dem matten Licht. »Genau richtig«, fuhr Judy fort. »Der Braten ist gerade fertig. Setzt euch.«
    Als Jane ihrer Mutter zusah, wie sie Bratkartoffeln, Pastinaken und dicke Scheiben Lammbraten auf die Teller häufte, dachte sie: Gerade mal fünf Minuten im Haus, und schon war London so weit weg wie ein fremdes Land. Es spielte keine Rolle, wie sehr sie versuchte, sich selbst vom Gegenteil zu überzeugen - sie gehörte einfach hierher. Hier fühlte sie sich am lebendigsten. Es war unmöglich, sich vorzustellen, dass sie erst heute Vormittag einem Londoner Gangster in seinem eigenen Wohnzimmer gegenübergestanden hatte. Ihren Eltern würde vor Schock der Mund offen stehen bleiben, und aus ihren Blicken würden Besorgnis und Fassungslosigkeit sprechen, wenn sie es ihnen erzählte. Und sie hatten ja Recht, dachte sie, griff nach ihrem Teller und stellte ihn vor sich hin.
    Nach zwei Bissen zarten Lammbratens hörte Jane, dass die Hintertür aufgemacht wurde. »Nur ich«, war die Stimme ihres Bruders aus dem Flur zu hören, wo er seine Jacke auszog.
    Judy sah leicht schuldbewusst aus. »Matthew, das ist aber 'ne nette Überraschung«, sagte sie, als ihr Sohn hereinkam und sich die feuchten Locken aus der Stirn strich. Matthew Gresham schaute mit einem bitteren Lächeln auf die Szene. »Sehr schön. Ich hab die Zeitschrift gebracht, die du wolltest, Diane hat's mir ausgerichtet«, sagte er zu Judy und warf eine zusammengerollte Gartenzeitschrift auf den Tisch, zog dabei einen Stuhl heran und ließ sich darauf fallen wie ein schmollendes Kind. Jane beobachtete, wie die Zeitung sich aufrollte, und wartete, bis der zweite Teil der Vorstellung folgte. »Was tust du hier zu Hause mitten in der Woche und im Semester?«, fragte er in verdächtig freundlichem Ton. »Hast du dich unmöglich gemacht, Schwesterchen?«
    »Freistellung zu Forschungszwecken«, antwortete Jane. »Es ist schön, dich zu sehen, Matthew«, fügte sie hinzu und gab sich Mühe, freundlich zu klingen.
    »Manche kriegen das hin«, sagte Matthew. Er schnupperte. »Guter Lammbraten. Hast du geschlachtet, Dad? Ich freu mich auf etwas Leckereres als Pasta arrabbiata am Sonntag.«
    Judy presste die Lippen aufeinander, sagte aber nichts. Jane fragte sich, ob ihr Bruder sich anders entwickelt hätte, wenn ihre Mutter nicht zugelassen hätte, dass er als Kind seine Schwester immer dominierte.
    »Deine Mutter macht sehr gute Pasta«, sagte ihr Vater. »Selbstgemachte Tagliatelle sind unschlagbar. Und es ist viel zeitaufwendiger als ein Braten. Das wüsstest du auch, wenn du jemals in der Küche helfen würdest.«
    Matthew zog die Augenbrauen hoch. »Was ist denn mit dem Forschungsurlaub? Extra Freizeit, um ein gebrochenes Herz zu heilen?«
    Jane schüttelte starr lächelnd den Kopf. »Ich sehe, du bist immer noch dabei, dir Charme und Diplomatie anzueignen. Nein, Matthew, es hat nichts mit Jake zu tun. Es gibt da einen Quellennachweis, den ich hier oben suchen muss, und meine Professorin findet auch, dass ich es ziemlich bald tun sollte.«
    »Ein Quellennachweis, den du suchen musst? Du reitest doch nicht immer noch auf Wordsworths verlorenem Meisterwerk herum?« Matthew beugte sich vor, nahm ein Stückchen Lammfleisch von der Platte und schob es mit einem beifälligen Murmeln in den Mund. Dann platzte er plötzlich mit einem lauten Lachen heraus. »Ach, jetzt versteh ich. Du hast deine leichtgläubige Chefin überzeugt, dass die Leiche im Moor kein anderer ist als Fletcher Christian - voilà.« Sein Gesicht verdüsterte sich wieder. »Mein Gott, du hast es leicht da unten. Ein paar Tage im Lakeland mit guter Hausmannskost gefällig? Ich weiß, man braucht nur eine bekloppte Idee zu haben und die Welt dazu zu bringen, nach seiner Pfeife zu tanzen.«
    »Jetzt hör aber mal auf, Matthew«, sagt Allan. »Deine Schwester ist kaum fünf Minuten hier.« »Und du brauchst dich ja nicht zu beklagen«, sagte Judy munter. »Ein wunderbares Baby, eine

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