Das Moor Des Vergessens
Flinte. Vage dämmerte ihr - schließlich hatte sie Dutzende von Fernsehkrimis gesehen -, wie sich das hier ausnehmen würde. Sie musste etwas tun. Nur die Flinte abzuwischen genügte nicht. Sie wusste, dass es mikroskopisch kleine Spuren geben würde, egal, wie schlau ihr Vater gewesen sein mochte. Sie hatte genug kriminaltechnische Dokumentarsendungen gesehen, um zu wissen, dass sich weder sie noch ihr Vater in Sicherheit wiegen konnten.
Sie zwang sich, den Blick von Geno abzuwenden und sich zusammenzunehmen, und atmete tief und zitternd durch. Sie musste etwas tun. Aber was? Sie musste das Zimmer verlassen, damit sie richtig denken konnte. Tenille stolperte in den Flur hinaus, sank in die Hocke und ließ den Kopf in ihre Hände sinken. Sie musste doch etwas tun können, um sicherzugehen, dass kein Verdacht auf ihren Vater fallen würde. Er war gekommen, um sie zu retten, als sie ihn brauchte. Jetzt meinte sie, sie müsse ihm mit einer vergleichbaren Geste zeigen, dass sie zu schätzen wusste, was er für sie getan hatte.
Sie zermarterte sich den Kopf und versuchte, sich an die Sendungen über echte Kriminalfälle zu erinnern, die sie spätnachts im Satellitenfernsehen verfolgt hatte. Jeden Abend ein neuer Tod. Und nach jedem Tod eine neue Ermittlung. Tipps und Hinweise für alle, die genug Grips hatten, um ihre tiefere Bedeutung zu erfassen, und dazu einen so kühlen Kopf, dass sie sie umsetzen konnten.
Ihr Gesicht hellte sich auf. Feuer - das konnte alles bereinigen. Es würde die Tatsache, dass Geno vor Ausbruch des Feuers von einer abgesägten Schrotflinte weggepustet worden war, nicht verschleiern können. Aber ein großes Feuer würde alle Spuren beseitigen, die sie oder ihr Vater eventuell am Tatort hinterlassen hatten.
Tenille stand auf. Sie musste nur dafür sorgen, dass der Brand sich ausbreitete. Sie wünschte, sie würde in einem dieser Häuser wohnen, wo es einen Gartenschuppen voll Materialien gab, die wie eine Leuchtkugel losgehen würden. Benzinkanister für den Rasenmäher, Gasflaschen zum Grillen, so was in der Art.
Tenille ging in die Küche und machte den Schrank unter der Spüle auf. Bleiche, Weichspüler, Neutralreiniger. Alles total unbrauchbar. Sie schlug die Tür zu und ging in das Zimmer ihrer Tante. In Parfüm war Alkohol, und es würde Dämpfe abgeben, die helfen konnten, ein Feuer zu entfachen, glaubte sie. Sie nahm die wenigen Fläschchen von Sharons Frisierkommode und bemerkte dann eine große Flasche mit Nagellackentferner. Der würde brennen, da war sie ganz sicher. Tenille fügte ihn ihrer Beute hinzu. Sie wollte gerade ins Wohnzimmer zurückgehen, als sie einen kleinen Behälter in einer halb offenen Schublade bemerkte. Sie riss sie auf und nahm das Fläschchen mit Feuerzeugbenzin heraus. An der Tür zum Wohnzimmer schloss sie kurz die Augen und versuchte, sich zu fassen. »Nimm dich zusammen«, sagte sie laut und zwang sich, in das Zimmer zurückzugehen. Diesmal bemühte sie sich, Geno nicht anzusehen. Sie ging zum Sofa, wo sie sämtliche Flaschen entleerte. Der widerwärtig süßliche Duft hüllte sie ein und überdeckte alle Gerüche der brutalen Mordtat. Dann drückte sie die Öffnung des Benzinbehälters fest gegen die Holzlehne des Sofas. Das Benzin entwich, floss über das zerkratzte Furnier und wurde von dem Bezugsstoff aufgesaugt. Wegen des beißenden, öligen Gestanks rümpfte Tenille die Nase und wandte das Gesicht ab. Sie leerte den ganzen Behälter aus, bevor sie ihn zu Boden warf.
Jetzt brauchte sie den Mist nur noch anzuzünden. Wo war das Feuerzeug des verdammten Kerls? Ihre Euphorie war verflogen. Sie begann die Endgültigkeit seines Todes und die fast beiläufige Art zu begreifen, wie er über ihn verhängt worden war. Wie dankbar sie ihrem Vater auch war, sie konnte sich doch nicht länger vormachen, dass dies eine gute Lösung war. Sie wollte Geno wirklich nicht ansehen. Tenille wich den über das Sofa hinausragenden Füßen aus und schob mit dem Fuß das Gewehr näher heran. Dieses Sofa würde lichterloh brennen wie ein Strohbündel. Sharon hatte es in irgendeinem dubiosen Secondhand-Laden gekauft, es konnte gar nicht anders als feuergefährlich sein. Sie sah auf den mit allerhand Sachen überhäuften Beistelltisch neben Geno hinunter. Das Glas, aus dem er getrunken hatte, war von umherfliegendem Schrot zersplittert, und seine Zigaretten und sein Feuerzeug lagen in einem Haufen von Glasscherben und einer Rumlache. Tenille streckte die Hand nach dem
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