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Das Moor Des Vergessens

Das Moor Des Vergessens

Titel: Das Moor Des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Familie Wordsworth ihr beengtes geselliges Leben geführt hatte. William hatte dies bestimmt als etwas betrachtet, das ihm zustand. Er hatte nie an seiner Genialität gezweifelt und beklagte sich nur, dass die Welt in dieser Hinsicht noch nicht ganz so weit war wie er selbst.
    Jane stellte ihr Fahrrad ab und betrat das hübsche Cafe mit den Tischen und Stühlen aus Fichtenholz. Anthony Catto saß in einer Ecke und las die Morgenzeitung. Mit seinen langen, silbergrauen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren und der ovalen Designerbrille auf der Nase wirkte er eher wie ein in die Jahre gekommener Rocker als wie ein Museumsdirektor. Er trug - Jane kannte diese Aufmachung als seine Dienstkleidung - Arbeitsstiefel, verwaschene Jeans, ein Jeanshemd und eine braune Lederweste mit Taschen voller Merkzettel, die er ständig schrieb und dann den »Arbeitsakten« zuordnete. Aber trotz dieses Äußeren gab es niemanden unter den Lebenden, der mehr über William Wordsworths Leben, Werk und Familie wusste. Seit er erwachsen war, hatte er sein Leben der fast schon ans Fanatische grenzenden Suche nach Erkenntnis über den Dichter und seine Welt gewidmet. Ja, es ging noch weiter: Anthony hütete sein Wissen keineswegs mit der Eifersucht, die im akademischen Leben deprimierend weit verbreitet war. Er war mit seiner Gelehrsamkeit fast zu großzügig. Manche hätten vielleicht gesagt, er treibe es so weit, dass es ermüdend werden konnte. Jane fand das allerdings nicht.
    »Morgen, Anthony«, rief sie, als sie auf den Tisch zuging. Er sah hoch, und auf sein zerfurchtes Gesicht trat ein Lächeln. »Jane, meine Liebe«, sagte er mit voller Stimme, so pflaumenweich wie Jack Homers Pudding im Kindervers. »Wie schön, dich zu sehen.« Er erhob sich und hielt ihr die Hand hin. Jane drückte seine trockene warme Hand mit ihrer eiskalten. »Du meine Güte, du bist aber kalt«, rief er aus. »Ich bin von Fellhead mit dem Fahrrad gekommen. Als ich losfuhr, kam es mir nicht so kalt vor, aber dann war es doch ein bisschen rauer, als ich erwartet hatte«, gab sie reumütig zu.
    »Das Stadtleben macht dich empfindlich. Die Abhärtung durch unsere Gegend hier fehlt dir«, sagte er, während er ihr Kaffee in eine Tasse goss.
    »Nein, das ist angeboren. Da muss es schon noch ein bisschen schlimmer kommen, um mich abzuschrecken.« Jane trank dankbar ihren Kaffee.
    »Also, Jane, dieser Brief von Mary fasziniert mich richtig. Nachdem wir gesprochen haben, suchte ich ihn an der Stelle, die du mir genannt hattest.« Er schüttelte den Kopf und verzog missbilligend den Mund. »Bemerkenswert, dass noch nie jemand darauf gestoßen ist. Also, ich sage, bemerkenswert. Aber es gibt viel zu vieles im Archiv, das noch nicht vollständig in den Katalog aufgenommen ist.« »Und er steckte in dem falschen Umschlag. Meinst du, er bezieht sich auf ein Gedicht?«
    Anthony zupfte an seinem Ohrläppchen. »Mary ist so ärgerlich vage, nicht wahr? Es könnte ein Brief, es könnten Notizen zu einem Gedicht, oder es könnte auch das Gedicht selbst sein. Oder tatsächlich alle drei. Sag mir, wieso du denkst, dass es ein Gedicht sein könnte.«
    »Ich glaube, Fletcher Christian ist zurückgekommen«, sagte Jane abrupt. Sie hatte das Gefühl, diese Geschichte in der einen oder anderen Form schon seit Tagen zum Besten zu geben. Aber sie wusste, dass sie sich Anthonys Hilfe sichern musste, also versuchte sie, ihr einen neuen Anstrich zu geben.
    Anthonys Lächeln war fast schon nachsichtig zu nennen. »Ach, diese alte harte Nuss aus dem Lakeland. So recht glaubwürdig ist es nicht, aber trotzdem im Bereich des Möglichen.«
    »Es freut mich, dass du das denkst. Also, ich glaube, er hat Pitcairn in der Zeit zwischen 1793 oder 1794 verlassen. Bestimmt, bevor die Kinder alt genug waren, um sich an ihn erinnern zu können. Es ist schwer zu sagen, wie lange er für die Reise zurück nach England brauchte. Ob er auf einem Walfangschiff floh oder es schaffte, in einer der Jollen bis nach Südamerika zu segeln, er hätte immer noch den Atlantik zu überqueren gehabt und auf seiner Rückreise arbeiten müssen, wahrscheinlich als einfacher Matrose. All das hätte viel Zeit verschlungen, vielleicht Jahre.« Anthony nickte. »Einverstanden.«
    »Nun, obwohl er wusste, dass er wahrscheinlich in Abwesenheit wegen Meuterei verurteilt worden war, hatte er keinen Grund, anzunehmen, dass irgendjemand außerhalb der offiziell mit der Seefahrt verbundenen Kreise etwas davon wusste. Er konnte nicht

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