Das Moor Des Vergessens
hob mahnend einen Finger. »Aber da sind zwei Schachteln mit Briefen der Familie, die noch nicht katalogisiert sind. Sie haben seit Jahren ganz hinten im Schrank gestanden. Wir haben sie erst gefunden, als wir die Archivmaterialien zum Umzug ins neue Zentrum zusammengepackt haben. Deborah hat schnell mal reingesehen: Die Briefe wurden in der Zeit nach Williams Tod geschrieben, da schien es nicht so dringend, sie sich vorzunehmen. Du kannst sie gerne selbst durchgehen.« Da er nichts von langem Zögern hielt, trank er seinen Kaffee aus und stand erwartungsvoll auf. »Aber das hat natürlich seinen Preis«, fügte er hinzu, während sie in die Küche zurückgingen. Jane war leicht irritiert und überrascht. Es sah Anthony gar nicht ähnlich, so direkt einen Gefallen einzufordern. Normalerweise war er dazu viel zu diplomatisch. »Natürlich«, sagte sie.
»Du musst deiner unendlichen Bewunderung für unser neues Jerwood Centre Ausdruck verleihen«, sagte er und wandte sich mit einem verschmitzten Lächeln zu ihr um. »Ich glaube, das kann ich mir gerade noch leisten«, antwortete sie und folgte ihm auf dem Weg aus dem Cafe.
Nach einer langen und unsicheren Reise kamen wir am fünfundzwanzigsten Tag des Oktober 1788 in Tahiti an. Wir hatten das Kap Horn nicht umrunden können, mussten deshalb umkehren und unsere Reise auf der langen Route um das Kap der Guten Hoffnung herum fortsetzen. Die Männer waren erschöpft und krank, trotzdem bestand Kapitän Bligh darauf dass sie jeden Tag zur körperlichen Ertüchtigung an Deck tanzten. Tahiti erschien allen wie ein Paradies auf Erden, gesegnet mit allem, was man sich wünschen konnte. Ich hieß mich für vom Glück begünstigt, dass ich ausgesandt wurde, um an Land ein Lager einzurichten, wo ich das Sammeln der Brotbäume überwachen sollte, deren Transport der eigentliche Zweck unserer Fahrt war. Unter den Männern, die ich als meine Begleiter auswählte, war der junge Peter Heywood, auch deshalb, weil ich glaubte, er werde unter meiner Aufsicht sicherer sein als an Bord unter der Obhut eines Kapitäns, der nicht zögern würde, ihn einer rachsüchtigen Laune zu opfern. Wenn ich jetzt darauf zurückblicke, glaube ich, dass ich vielleicht den falschen Weg eingeschlagen habe.
13
Tenille erwachte abrupt und konnte sich einen Moment lang nicht erinnern, wieso das Licht aus der falschen Richtung kam. Sie schlug die ungewohnte Decke in dem fremden Bett zurück und sah sich mit wildem Blick um, während sie versuchte, sich zu orientieren. Dann brach die Erinnerung an die letzte Nacht über sie herein, und sie war von einem Kaleidoskop von Schreckensbildern umgeben. Nach dem Schlaf war sie verschwitzt, hatte verklebte Augen, und die qualvollen Träume waren wie ein schlechter Geschmack in ihrem Mund.
Sie fiel halb aus dem Bett, rannte ins Badezimmer und schaffte es gerade noch, sich in die Toilette zu übergeben. Zusammengekauert lag sie auf dem Boden und schauderte bei der Szene, die ungebeten in ihrem Kopf ablief. Genos Blut, sein zerfetzter Körper und seine zerrissenen Kleider. Es tat ihr nicht leid, dass er tot war, ihre jugendliche Sicht der Welt ließ nicht viele Zwischentöne zu, und soweit sie wusste, war er Abschaum gewesen. Aber es tat ihr leid, dass sie hatte sehen müssen, was noch von ihm übrig war, nachdem ihr Vater ihm das gegeben hatte, was er verdiente. Sie zog sich hoch, stand langsam wie eine alte Frau auf und schlurfte in die Küche. Nach der Entleerung ihres Magens war sie hungrig. Im Kühlschrank war nur ein Stück Cheddar, eine Packung Orangensaft, ein halbes Glas Mayonnaise und die Überreste von einem Bund Frühlingszwiebeln. Keine Milch, keine Cola. »Das bringt's nicht«, murmelte sie vor sich hin und öffnete die Schranktüren. Eine Packung Haferkekse, Nudeln, Reis, Dosen mit Tomaten, weißen Bohnen und Linsen, ein paar Päckchen chinesische Nudeln, Kaffee, Earl-Grey-Tee, Trinkschokolade, eine Schachtel Frühstücksflocken - mit getrocknetem Obst und Körnern. Leise murrend nahm Tenille die Frühstücksflocken, schüttete sie in eine Schale, goss Orangensaft darüber und nahm alles mit ins Wohnzimmer.
Sie schaltete das Radio ein und suchte den Lokalsender, denn sie musste herausfinden, was über Genos Tod berichtet wurde. Dann setzte sie sich mit ihrem Essen wieder ins Bett und kaute traurig vor sich hin, während sie auf die Nachrichten wartete.
Zuerst kam irgendein Politikscheiß. Warum klangen die Sprecher immer so gut gelaunt,
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