Das Moor Des Vergessens
»Klassische Verwundung durch Eindringen eines Gegenstandes.«
»Sie können das Alter so präzise datieren?« Rigston schien beeindruckt.
»Das Skelett stellt sich wieder her. Die Knochen regenerieren sich. Verschiedene Knochen heilen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Bei den Rippen geht es schnell, der Oberschenkelknochen braucht mehr Zeit, und beim Schädel dauert es noch länger. Eine solch schwere Verletzung an einem flachen Knochen wie dem Schulterblatt wird Jahre brauchen und nie völlig ausheilen. Im Winter schmerzte die Stelle wahrscheinlich. Ich würde sagen, er hat diese Kugel zehn oder fünfzehn Jahre vor seinem Tod abgekriegt.« »Sie scheinen ziemlich sicher zu sein, dass es eine Schusswunde war.«
River lächelte. »Ganz einfach, mein lieber Rigston.« Sie zeigte auf zwei Flecken am Rand des beschädigten Knochens. »Metallstückchen. Damals bestanden Kugeln aus Blei mit Beimischungen. Weiches Metall ist hängen geblieben, als es den Knochen durchdrang.« Er lächelte, und sie war sehr zufrieden mit sich.
»Eindrucksvoll«, sagte er. »Was noch?« Sie hob die Hände. »Das ist erst mal alles. Aber es kommt noch eine Menge.« »Was, zum Beispiel?«
Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu. »Wollen Sie es wirklich wissen? Oder wollen Sie mir nur den Spaß nicht verderben?«
Rigston schüttelte belustigt den Kopf, und um seine blassblauen Augen bildeten sich Fältchen. »Es interessiert mich. Ich weiß, was bei einer Obduktion gemacht wird, aber ich habe so gut wie keine Ahnung davon, was Sie tatsächlich machen. Und ich bin nicht jemand, der Ignoranz besonders schätzt.«
River warf ihm einen abschätzenden Blick zu. Ihr erster Impuls war, zu glauben, dass sein Interesse echte intellektuelle Wissbegier war, keine geile Neugier.
Sie beschloss, sich darauf zu verlassen. »Also, wir werden eine Obduktion vornehmen, aber keine, wie Sie sie kennen - mit einem großen Y-förmigen Einschnitt auf der Brust. Ich will eine minimalinvasive Untersuchung durchführen. Die meisten inneren Untersuchungen werden mit einer Kamera gemacht - wie die Laparoskopie. Ich werde Gewebeproben von allen wichtigen Organen nehmen, die noch da sind, wie eine Schlüssellochbiopsie.«
»Warum machen Sie das auf diese Art?« »Wir können den Körper erhalten. So eine Leiche wird wahrscheinlich am Schluss in einem Museum oder in einer Universität landen. Es hilft, wenn ich sie nicht völlig durch den Versuch zerstöre, möglichst alles herauszufinden, was wir erfahren können.« Sie hielt ihm ihr Glas entgegen. »In ein paar Jahren werden Ihre Pathologen vom Innenministerium viel mehr Untersuchungen auf diese Art durchführen. Sie haben in Leicester schon die erste virtuelle Obduktion vorgenommen. Von allem anderen abgesehen, hilft es, die religiösen Empfindlichkeiten von Juden und Moslems zu schonen.«
Rigston grinste. »Ganz zu schweigen von der Empfindlichkeit der Polizisten, die bei den Obduktionen dabei sein müssen. Man wird die Neulinge nicht mehr vom Boden auflesen müssen, wenn der Geruch sie umgehauen hat.« River nickte zustimmend. »Wussten Sie, dass das, was wir essen, den Geruch ausmacht, den wir ausströmen, wenn wir tot sind? Menschen und Schweine riechen süßlich, Hunde ranzig und Pferde eher sauer. All das hat mit dem Stickstoffgehalt zu tun.«
Er verzog das Gesicht. »Ich bin nicht sicher, ob ich es süßlich nennen würde.«
»Aber Dichter tun es. Sie sprechen vom süßen Geruch der Verwesung.«
»Ich lese nicht gerade viele Gedichte«, sagte Rigston. »Und ich glaube auch nicht, dass andere Polizisten das tun. Es hat keinen Bezug zu unserer konkreten Arbeit.« »Oder zu meiner. Es ist nichts Poetisches daran, den Inhalt eines Magens oder eines Darms abzusaugen.« »Müssen Sie das machen?« Rigston schien fasziniert statt angeekelt. River war froh, dass ihr Gefühl sie bis jetzt nicht getrogen zu haben schien.
»Ja, wir müssen das machen. Besonders in einem Fall wie diesem, wo der Mageninhalt wahrscheinlich gut erhalten ist und der untere Teil des Magen-Darm-Trakts sehr wohl Samen und Pflanzenfasern enthalten könnte, die uns noch mehr über seine Ernährung sagen können. Einer meiner Kollegen hat ein ganzes Rosenkohlröschen auf dem Weg nach draußen gefunden.«
Diesmal schien Rigston tatsächlich angewidert. »Das ist mir jetzt etwas zu viel Information«, sagte er, auf seinem Stuhl hin und her rutschend. »Können wir wieder über wissenschaftliche Dinge sprechen?«
»Schwächling«,
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