Das Mordhaus (German Edition)
Opfern und der Auflösung des Falls sein, anstatt mich um mich selbst zu sorgen? Vielleicht war aber genau das der Weg. Womöglich musste ich erst meinen eige nen Fall lösen, bevor mein Kopf für andere Sachen frei war.
Auf dem Weg nach draußen schwebten mir erst die Bilder von Anke und Jenny vor Augen, dann die von Pauls Frau und seiner Tochter. Konnte ich dem Glauben schenken, was mein Gehirn mein te, verarbeiten zu wollen? Konnte es Wirklichkeit sein, was ich gese hen hatte?
Wir stiegen durch das Fenster hinaus und ich setzte mich auf den kalten, feuchten Rasen. Diana rief Schroer an und teilte ihm mit, dass wir nicht nur Verstärkung, sondern sämtliche Einheiten und einen Leichenwagen brauchten. Als sie ihm die Details schil derte, verdrängten die Toten endgültig Anke und Jenny aus mei nem Schä del. Pauls Frau ... wie konnte man nur? Ihr Leib lag schlaff und bleich auf dem Ehebett. Ihr Körper – einst wunder schön – entstellt und entwürdigt. Das Gesicht ... zerschnitten, im Akt des Hasses zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Aber war es das Schlimmste? Nein, beileibe nicht. Pauls Frau wurde von den Brüsten bis zum Schambe reich aufgeschnitten und ausgenom men wie ein Fisch. Ihre Organe, Gedärme ... einfach alles hatte der Täter aus ihr rausgerissen und im Schlafzimmer verteilt. Wände, Decke, Boden, alles vollgespritzt mit Blut und vermatscht mit Innereien ... ein wahrer Matschteppich lag vor mir ... Aber war es das Schlimmste? Nein, beileibe nicht. Ich musste den Blick in meiner Vorstellung nicht weiterwandern lassen. Er verharrte dort, wo er zuvor gewesen war. Die Bauchhöhle der Frau hatte einen Ersatz für die fehlenden Innereien bekommen. Dort ruhte jetzt der Kopf eines Kindes. Um genauer zu sein, der Kopf von Pauls Tochter. Wozu Auffangbehälter für das Blut benutzen, wenn man gleich die Mutter als Gefäß missbrauchen konnte? Wozu Um stände machen? Was für ein krankes Ars...
»Tomas?« Diana kniete vor mir. Das rote Haar klebte an ihrem Ge sicht. Auch wenn es kühl war, schien sie vor Anspannung zu schwit zen. »Schroer ist auf halbem Weg, Erkennungsdienst und Leichen wagen sind informiert. Wir haben noch Zeit. Erzähl!« Sie sah mich ernst an. Hatte ich je bemerkt, welch schöne und ehrli che Augen sie besaß?
Ich zündete mir eine Zigarette an. »Ich weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat. Wie kann es sein, dass mir mein Unterbewusst sein eine erfundene Geschichte als Erklärung für diesen Tag bie tet?«
Diana strich mir über die Wange. »Das musst du mit deinem Psychiater klären. Erzähl mir lieber, was wirklich geschehen ist, das wird dir helfen.«
Ich nickte und ließ Nikotin in meine Lunge strömen. »Sie sagte mir, dass sie sich scheiden lassen will. Ich ... Ich ... Ich bin völlig aus gerastet. Hab Sachen durch die Gegend geworfen und sie angeschri en, wieso sie sich von mir trennen will.« Ich verstummte, rauchte, hustete.
»Und wieso wollte sie sich trennen?«, fragte Diana.
Ich kramte in meinen neu gewonnenen Erinnerungen und fand den Grund. »Wegen meiner Arbeit, weil ich ständig unterwegs war und kaum Zeit für sie und unsere Tochter hatte.« Ich blickte zu Bo den.
»Aber das ist noch lange kein Grund, sich scheiden zu lassen«, er boste sich Diana. »Daran kann man arbeiten.«
»Es war nicht nur das. Sie hatte jemanden kennengelernt ...« Ich verstummte.
Blaue Lichter erhellten die Nacht und kamen auf uns zu. Ich schaute zu Diana hoch. Ihr Gesicht mochte Mitleid oder Empö rung ausdrücken, ich konnte es nicht einschätzen.
»Anke bekam Angst vor mir, sie packte Jenny am Arm und rannte mit ihr zum Auto. Voller Zorn bin ich ihnen hinterherge fahren. Ich denke, sie wird vor Panik nicht auf den Verkehr ge achtet haben und deshalb kam es zu dem Unfall.« Ich seufzte. »Ich bin ein Mörder, wegen mir leben sie nicht mehr.«
Diana sprang auf. »Erzähl keinen Scheiß! Du bist nicht schuld an ihrem Tod. Es war trotz allem ein Unfall.«
War es so? War es trotz allem ein Unglück? Konnte meine Hei lung mit diesem neuen Wissen voranschreiten? Eine Mitschuld an ihrem Tod würde mich bis an mein Lebensende begleiten.
Sie hockte sich wieder vor mich hin und hielt mein Gesicht in ih ren Händen. »Wir schaffen das zusammen, okay? Ich werde dir hel fen, wo ich kann.«
»Und Schroer? Er wird mich sofort krankschreiben lassen, wenn er das hört.«
Diana zuckte mit den Schultern. »Von wem sollte er es erfah ren? Von mir jedenfalls nicht. Willst du es ihm erzählen? Wir
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