Das Mordkreuz
bemüht. «Irgendwie dachte ich, es müsste umgekehrt sein. Aber ich habe wunderbare Kinder.»
«Sind es die beiden, die draußen am Wasser spielen?»
«Ja.»
Heinlein fragte Kilian mit einem Blick, ob er noch eine Frage hatte. Der schüttelte den Kopf. «Wir haben vorerst keine weiteren Fragen mehr.» Sie erhoben sich. «Vielen Dank für Ihre Hilfe und die Offenheit.»
Wilde führte sie zur Tür. «Wenn Sie noch Fragen haben, zögern Sie nicht.» Dann schloss er die Tür.
Bevor sie ins Auto stiegen, nutzte Heinlein die Gelegenheit. Er ging zu den Kindern, die noch immer im Ruderboot spielten. «Seid ihr Francesca und Lucca?»
Die beiden nickten.
«Ihr habt schöne Namen. Woher stammen sie?»
«Von Mama», antwortete das Mädchen.
Diese Logik war umwerfend. Heinlein grinste. «Ja, das stimmt. Fehlt sie euch?»
Der Junge senkte den Kopf und nickte. Francesca nahm ihn fürsorglich in den Arm. Heinlein streichelte ihm übers Haar. «Du musst nicht traurig sein», sagte er, «eure Mama schaut euch vom Himmel aus zu. Sie ist immer bei euch.»
«Sie müssen uns nicht trösten», protestierte Francesca vorlaut. «Mama ist die ganze Zeit da. Bei Nacht kommt sie uns immer besuchen.»
Kilian wurde hellhörig. «Wie meinst du das?»
«Hast du das nicht in der Zeitung gelesen? Mama ist die Weiße Frau.»
Heinlein und Kilian schauten sich verdutzt an. Ja, so konnte man das auch sehen. Wenn der Schmerz unfassbar wurde, klammerte man sich an den nächsten Strohhalm.
Sie wollten ihr den Glauben nicht nehmen und verabschiedeten sich. Während der Rückfahrt in die Stadt ging den beiden Kommissaren das Gespräch durch den Kopf.
«Was hältst du davon?», fragte Heinlein.
«Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Entweder ist der Typ kalt wie eine Hundeschnauze, oder er lässt nichts und niemand an sich heran.»
«Wir sollten an ihm dranbleiben.»
Heinlein verlor sich in Schweigen. Wie konnte man den Tod seiner Frau einfach so hinnehmen?
25
Ich falle.
Wieder träumte sich Kilian nach Italien an einen einsamen Strand. Diese Stimme, die er gut kannte, lockte ihn abermals ins Meer. Über seinem Kopf schlugen die Wellen zusammen. Er tauchte tiefer, durchstieß einen Vorhang aus Fischen und hielt sich dicht oberhalb des wiegenden Seegrases. Obwohl er wusste, dass ihm die Atemluft bald ausgehen würde, fürchtete er sich nicht. Er würde den Durchgang rechtzeitig erreichen. Da vorn, zwischen den beiden Felsen, wartete das dunkle Maul auf ihn.
Ein Schatten fiel von der Wasseroberfläche auf ihn herab. Furcht erfasste ihn. Er musste sich beeilen. Noch vor dem Eingang packte sie ihn und zerrte ihn weg. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen. Es war von langen Haaren umspült. Ihr weißes Kleid nahm ihn ein, wie man einen zappelnden Goldfisch in den Händen hält. Nirgends fand er einen Ausgang aus diesen weißen Schleiern, die ihn orientierungslos machten. Im Moment der höchsten Not erkannte er zwei rote Punkte. Sie kamen geradewegs aus der dunklen See auf ihn zu. Das Heulen des Windes begleitete sie. Er riss den Schleier entzwei und blickte in das blutige Gesicht einer Frau.
Kilian öffnete die Augen. An der Decke spiegelte sich der Schatten der Gardine. Alles war ruhig. Pia schlief tief an seiner Seite. Er stand auf und nahm die Wasserflasche aus dem Kühlschrank. Nachdem er sie geleert hatte, griff er zum Brandy und den Zigarillos. Einem oft praktizierten Ritual folgend, ging er hinaus auf die Terrasse und setzte sich anden Tisch. Der Himmel war wie in den vergangenen Wochen sternenklar. Kein Lufthauch vermochte den Schweiß auf seinem Körper zu trocknen.
Was zum Teufel hatte eine Weiße Frau in seinen Träumen verloren?, fragte er sich. Er hatte nichts mit diesem Zirkus zu tun. Sollten doch alle anderen an diesen mystischen Unfug glauben, aber doch nicht er. Und nun fing es auch bei ihm an.
«Was machst du hier draußen?», fragte Pia, die einen Bettüberzug um ihren Körper gewickelt hatte.
«Durchatmen. Drinnen war es mir zu stickig.»
Sie setzte sich zu ihm. «Wieder schlecht geträumt?»
Kilian nickte.
«Langsam sollten wir etwas dagegen unternehmen», sagte sie besorgt.
«Und das wäre?»
«Mit einem Profi darüber sprechen.»
Er lachte auf. «Der quatscht mir dann die Träume weg, oder wie?»
«Ein Analytiker kann dir einen Weg aufzeigen, was sich hinter diesen Traumbotschaften verbirgt. Ungelöste Konflikte kleiden sich gern in Träume, die sich in deinem Unterbewusstsein festgesetzt haben. Wenn du dir des
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