Das Moskau-Komplott
Verzögerungen war es 13.45 Uhr, als die Gruppe endlich in den Autos saß. Sie fuhren die übliche Strecke: auf der Route des Tamaris landeinwärts, dann auf der D 93 nach Süden in Richtung Baie de Cavalaire. Als sie aus dem Kreisverkehr östlich von Ramatuelle ausscherten, trat vor ihnen plötzlich ein Gendarm auf die Fahrbahn und hob eine weiß behandschuhte Hand. Der Fahrer des vorderen Wagens spielte kurz mit dem Gedanken, die Aufforderung zu ignorieren, doch als der Gendarm zweimal kräftig in seine Pfeife stieß, besann er sich eines Besseren und fuhr, gefolgt von dem zweiten Wagen, auf den Randstreifen.
Der Gendarm, ein erfahrener Beamter der Einheit in Saint-Tropez, wusste, dass es zwecklos war, die Russen auf Französisch anzusprechen. In einem Englisch mit starkem Akzent klärte er den Fahrer darüber auf, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit deutlich überschritten habe. Die Entgegnung des Fahrers, dass in Südfrankreich im Sommer doch jeder zu schnell fahre, gefiel dem Gendarmen ganz und gar nicht. Er verlangte den Führerschein des Fahrers zu sehen und die Pässe aller Insassen beider Fahrzeuge.
»Wir haben die Pässe nicht dabei.«
»Wieso nicht?«
»Weil wir am Strand waren.«
»Als Besucher sind Sie in Frankreich dazu verpflichtet, Ihre Pässe jederzeit bei sich zu tragen.«
»Warum fahren Sie nicht mit uns nach Hause? Dann können wir Ihnen unsere Pässe zeigen, und der Unsinn hat ein Ende.«
Der Gendarm blickte auf den Rücksitz. »Sind das Ihre Kinder, Monsieur?« »Nein, das sind die Kinder von Iwan Charkow.« Der Gendarm zog ein Gesicht, um zu verstehen zu geben, dass ihm der Name nichts sagte. »Und wer sind Sie?«
»Ich arbeite für Mr. Charkow. Und nieine Kollegen im zweiten Wagen auch.« »In welcher Funktion?« »Als Leibwächter.«
»Soll das heißen, dass Sie Schusswaffen tragen?« Der russische Fahrer nickte. »Dürfte ich um Ihre Waffenscheine bitten?« »Die haben wir auch nicht dabei. Die liegen bei den Pässen in Mr. Charkows Villa.« »Und wo ist diese Villa?«
Der Gendarm kehrte, nachdem er die Antwort gehört hatte, zu seinem Wagen zurück und sprach in sein Funkgerät. Inzwischen war ein zweites Polizeiauto, ein Renault-Minivan, am Schauplatz eingetroffen, zu dem sich wenig später die, wie es schien, nahezu komplette Polizeimannschaft von Saint-Tropez gesellte. Der russische Fahrer, der den Aufmarsch im Rückspiegel beobachtete, spürte, dass sich die Lage rapide verschlechterte. Er zog sein Handy aus der Tasche und versuchte, Iwans Sicherheitschef anzurufen, doch der Anruf kam nicht durch. Nach drei weiteren Versuchen gab er frustriert auf und sah aus dem Fenster. Der Gendarm war wieder da. Die Lasche seines Holsters war geöffnet, und seine Hand lag am Griff der Pistole.
»Wo ist Ihre Waffe, Monsieur?«
Der Fahrer fasste nach unten und klopfte geräuschlos an seine Hüfte.
»Bitte nehmen Sie sie heraus und legen Sie sie vorsichtig auf das Armaturenbrett.« Er blickte zu dem Mann auf dem Beifahrersitz. »Sie auch, Monsieur. Waffe auf das Armaturenbrett. Dann möchte ich, dass Sie ganz langsam aus dem Wagen steigen und Ihre Hände aufs Dach legen.«
»Was ist hier eigentlich los?«
»Ich fürchte, wir müssen Sie festnehmen, bis die Angelegenheit mit Ihren Pässen und Ihren Waffenscheinen geklärt ist. Die Kinder und das Kindermädchen können zusammen in einem Wagen fahren. Sie und Ihre drei Kollegen werden getrennt fahren. Wir können das wie zivilisierte Menschen machen oder, wenn Ihnen das lieber ist, in Handschellen. Sie haben die Wahl, Messieurs.«
57 Moskau
An die Westseite des »Hauses an der Uferstraße« grenzte ein kleiner Park mit einer hübschen roten Kirche in der Mitte. Er erfreute sich schon bei normaler Witterung keiner großen Beliebtheit, und jetzt, bei bleiernem Himmel mit regenschweren Wolken, war er nahezu menschenleer. Ein paar Meter von der Kirche entfernt begann ein Wäldchen, und zwischen den Bäumen stand eine Holzbank, in die in kyrillischer Schrift viele Obszönitäten geritzt waren. Gabriel saß an einem Ende, und Schmuel Peled, Botschaftsfahrer und ebenso Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes, am anderen. Schmuel plapperte unablässig in fließendem Russisch. Aber Gabriel hörte nicht zu. Er lauschte den Stimmen, die aus seinem Minikopfhörer drangen. Der Stimme Jaakov Rossmans, der meldete, dass Elena Charkowas Wagen nun kein Beschatter der Gegenseite mehr folge. Der Stimme Eli Lavons, der meldete, dass Elena
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