Das Moskau-Komplott
eines Gepäckträgers ausschlagend, schleppte er sein Gepäck selber aufs Zimmer. Er sparte sich die Mühe, das Zimmer zu durchsuchen. Er spielte jetzt nach den Moskauer Regeln. Geh davon aus, dass jeder Raum verwanzt ist und dass jedes Telefongespräch mitgehört wird. Geh davon aus, dass jede Person, der du begegnest, für die Gegenseite arbeitet. Und schau dich nicht um. Du bist nie ganz allein.
Also stöpselte Natan Golani seinen Laptop in den kostenlosen Hochgeschwindigkeitsdatenport und las im vollen Bewusstsein, dass die Spione vom FSB mitlasen, seine E-Mails. Und er rief seine falsche Frau in Tel Aviv an und hörte brav zu, während sie über ihre falsche Mutter klagte, wohl wissend, dass der FSB denselben ermüdenden Monolog ertragen musste. Und sowie seine privaten und beruflichen Angelegenheiten erledigt waren, zog er sich etwas Legeres an und ging in den lauen Leningrader Abend hinaus. Er aß erstaunlich gut in einem italienischen Restaurant nebenan im Angleterre und wurde später von zwei FSB-Beschattern verfolgt, die er Igor und Natascha taufte, während er in der endlosen Dämmerung der weißen Nacht am Neva-Ufer entlangschlenderte. Auf dem Schlossplatz blieb er stehen und sah einer Hochzeitsgesellschaft zu, die am Fuß der Alexander-Säule Champagner trank, und einen Augenblick lang gestattete er sich den Gedanken, dass es vielleicht doch besser wäre, die Vergangenheit zu begraben. Dann kehrte er um und machte sich auf den Rückweg ins Astoria, in der Mitternachtssonne geräuschlos verfolgt von Igor und Natascha.
Am nächsten Morgen stürzte sich Natan Golani mit der Entschlossenheit eines Mannes, der in sehr kurzer Zeit viel zu leisten hatte, in den Konferenzbetrieb. Bei Tagungsbeginn wurde er zu seinem Platz im großen Saal des Marmorpalastes geführt, und dort blieb er, den Kopfhörer auf den Ohren, noch lange, nachdem viele andere Delegierte zu der Einsicht gelangt waren, dass die wirklich wichtigen Gespräche in den Bars der westlichen Hotels geführt wurden. Er nahm an den Arbeitsessen teil und machte bei den Cocktailempfängen am Nachmittag die Runde. Er besuchte die endlosen Diners und drückte sich auch nicht vor den Lustbarkeiten am Abend. Er sprach französisch mit den Franzosen, deutsch mit den Deutschen, Italienisch mit den Italienern und ganz passabel Spanisch mit den vielen Delegationen aus Südamerika. Er kam mit den Saudis und Syrern zusammen und brachte mit einem Iraner sogar ein höfliches Gespräch über den Wahnsinn der Holocaustleugnung zustande. Er erzielte eine grundsätzliche Übereinkunft über eine Tournee eines israelischen Kammerorchesters durch Schwarzafrika und traf Absprachen für den Israel-Besuch einer Gruppe von Maori-Trommlern aus Neuseeland. Innerhalb weniger Augenblicke konnte er sich kämpferisch und versöhnlich geben. Er sprach von neuen Lösungen für alte Probleme. Jedem, der es hören wollte, erklärte er, dass Israel entschlossen sei, Brücken anstelle von Zäunen zu bauen. Alles, was dazu nötig sei, sei ein couragierter Mann auf der anderen Seite.
Am Ende des zweiten Sitzungstages erklomm er das Rednerpodium im großen Saal des Marmorpalastes, und wie Uzi Navot prophezeit hatte, strömte ein Großteil der Delegierten augenblicklich hinaus. Die anderen, die blieben, fanden seine Rede ganz anders als alles, was sie bislang von israelischen Vertretern gehört hatten. Der Chef der UNESCO bezeichnete sie als »einen deutlichen Paradigmenwechsel im Nahen Osten«. Der französische Delegierte nannte Monsieur Golani »einen wahren Mann der Kultur und der Künste«. Alle Anwesenden stimmten darin überein, dass offenbar ein frischer Wind von den Hügeln Judäas wehe.
Aus dem Hauptquartier des FSB wehte kein solcher Wind. Seine Einbruchspezialisten durchsuchten Gabriels Hotelzimmer jedes Mal, wenn er es verließ, und seine Beschatter folgten ihm auf Schritt und Tritt. Bei der Schlussgala im Mariinsky-Theater flirtete eine attraktive Agentin schamlos mit ihm und lud ihn hinterher zu einem kompromittierenden Schäferstündchen in ihre Wohnung ein. Er lehnte höflich ab und verließ das Mariinsky nur in Begleitung von Igor und Natascha, die mittlerweile so gelangweilt waren, dass sie sich nicht einmal mehr die Mühe machten, ihre Anwesenheit zu verbergen.
Da es sein letzter Abend in St. Petersburg war, beschloss er, die Wendeltreppe in die Goldkuppel der Isaakskathedrale hinaufzusteigen. Der Säulengang unter der Kuppel war leer bis auf zwei deutsche
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