Das Moskau-Komplott
eine Exklusivstory?«
»Darüber müssen wir noch nachdenken.«
»Und wenn sie kommt?«
»Dann wirst du sie im Schutz der Residenz für ein vertrauliches Gespräch zur Seite nehmen. Und du wirst dich ihr zu erkennen geben. In welcher Form und wie weit du dabei ins Detail gehst, liegt an dir. Du wirst sie fragen, warum Boris Ostrowskij nach Rom geflogen ist, um mit dir zu sprechen. Sie muss uns alles sagen, was sie darüber weiß.«
»Was ist, wenn sie gar nichts weiß? Oder wenn sie aus Angst nicht reden will?«
»Dann wirst du wohl deinen Charme spielen lassen müssen, was dir, wie wir alle wissen, nicht schwerfallen dürfte. Außerdem gibt es schlimmere Arten, den Abend zu verbringen, Gabriel.«
Navot fasste erneut in seinen Diplomatenkoffer und brachte eine Akte zum Vorschein. Gabriel schlug den Deckel auf und nahm Olga Suchowas Foto heraus. Sie war eine attraktive Frau Mitte vierzig, mit weichen slawischen Zügen, eisblauen Augen und seidig-blondem Haar, das sie über die eine Schulter trug. Er klappte die Akte wieder zu und sah zu Schamron, der vor der offenen Balkontür stand und sein altes Zippo-Feuerzeug zwischen den Fingern drehte. Über ein Unternehmen zu sprechen stellte seinen neuerlichen Vorsatz, das Rauchen aufzugeben, sichtlich auf eine harte Probe.
»Du wirst nach Moskau fliegen, Gabriel. Du wirst in der Botschaft mit Olga einen netten Abend verleben, und du wirst möglichst viel darüber in Erfahrung bringen, warum die Journalisten von der
Gaseta
in die Schusslinie geraten sind. Danach kannst du wieder auf deinen Landsitz in Umbrien zurückkehren - zu deiner Frau und deinem Gemälde.«
»Und was passiert, wenn der FSB auf eure kleine List nicht hereinfällt?«
»Dein Diplomatenpass wird dich schützen.«
»Die russische Mafia und die Killer vom FSB scheren sich nicht um diplomatische Feinheiten. Die schießen erst und fragen später nach den politischen Konsequenzen.«
»Sobald du in St. Petersburg gelandet bist, wird die Moskauer Station auf dich aufpassen«, sagte Navot. »Wir werden immer in deiner Nähe sein. Und sollte es brenzlig werden, können wir jederzeit für offiziellen Personenschutz sorgen.«
»Wie kommst du darauf, dass die Moskauer Station rechtzeitig etwas merkt, Uzi? Gestern Nachmittag in Rom hat ein Mann Boris Ostrowskij nur ganz leicht berührt, und bevor jemand auch nur etwas geahnt hat, lag er tot im Petersdom.«
»Dann lass dich von niemandem berühren. Und was immer du tust, trink niemals Tee.« »Ein kluger Rat, Uzi.«
»Deine Lebensversicherung ist nicht dein Diplomatenpass«, sagte Schamron, »sondern der Ruf des Dienstes. Die Russen wissen ganz genau: Wenn sie sich an dir vergreifen, eröffnen wir die Jagd auf sie, und dann wird kein russischer Agent irgendwo auf der Welt mehr sicher sein.«
»Ein Krieg mit den russischen Geheimdiensten ist das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können.«
»Sie verkaufen moderne Waffen an Länder und Terrororganisationen, die uns vernichten wollen. Wir befinden uns schon im Krieg mit ihnen.« Schamron steckte das Feuerzeug in die Tasche. »Du hast in den kommenden sechs Tagen viel zu tun. Unter anderem musst du lernen, dich wie ein Beamter des Kulturministeriums auszudrücken und zu benehmen. Der stellvertretende Minister erwartet dich morgen früh um zehn in seinem Büro. Er wird dich über die Einzelheiten deiner offiziellen Mission in Russland ins Bild setzen. Ich möchte, dass du bei der Konferenz eine gute Figur machst, Gabriel. Du darfst nichts tun, was unsere ohnehin schon schwache Position bei der UNO noch weiter schwächt.«
Gabriel starrte auf das Passfoto und strich sich geistesabwesend übers Kinn. Seit vier Tagen hatte er sich nicht rasiert. Was den Bart anging, war er schon auf einem guten Weg.
»Ich muss Chiara Bescheid sagen und ihr erklären, dass ich nicht so bald nach Umbrien zurückkomme.«
»Sie weiß es bereits«, sagte Schamron. »Wenn du willst, können wir sie nach Jerusalem bringen lassen.«
Gabriel klappte den Pass zu und schüttelte den Kopf. »Jemand muss den Poussin im Auge behalten. Sie soll in Italien bleiben, bis ich wiederkomme.«
Er schaute auf und bemerkte, dass Navot ihn durch seine enge neue Brille zweifelnd ansah.
»Ist was, Uzi?«
»Sag jetzt bloß nicht, dass der große Gabriel Allon Angst davor hat, sich seiner schönen jungen Frau als Graubart zu zeigen.«
»Dreißig Pfund«, erwiderte Gabriel. »Dreißig Pfund.«
12 St. Petersburg
Pulkowo-2, St. Petersburgs
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