Das Moskau-Komplott
Ermordung zweier Kollegen unlängst zur kommissarischen Chefredakteurin ernannt worden war. Sie trug ein ärmelloses, schwarzes Kleid und ein Silbermedaillon um den Hals. Die Armreife an ihrem Handgelenk klirrten wie ein Windspiel, als sie Gabriel die Hand entgegenstreckte und ihn melancholisch anlächelte. »Wie geht es Ihnen, Mr. Golani?«, sagte sie förmlich auf Englisch. »Mein Name ist Olga Suchowa.«
Das Foto, das ihm Uzi Navot eine Woche zuvor in Jerusalem gezeigt hatte, war Olgas Schönheit nicht gerecht geworden. Mit ihren durchscheinenden Augen und ihrem länglichen, schmalen Gesicht kam sie Gabriel wie eine russische Ikone vor, die zum Leben erwacht war. Beim Essen saß er zu ihrer Rechten, konnte aber nur ein paar Worte mit ihr wechseln, hauptsächlich weil der Dokumentarfilmer ihre Aufmerksamkeit mit einer ausführlichen Beschreibung seiner letzten Arbeit in Beschlag nahm. In Ermangelung einer Fluchtmöglichkeit geriet Gabriel in die Fänge des ehemaligen Dissidenten, der ihm einen Vortrag über die Geschichte der russischen Opposition hielt, der bis in die Zarenzeit zurückreichte. Als die Bedienungen den Tisch abräumten, schenkte ihm Olga ein mitfühlendes Lächeln. »Ich fürchte, ich brauche jetzt eine Zigarette«, sagte sie. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich zu begleiten?«
Unter dem geknickten Blick des Filmemachers standen sie gemeinsam vom Tisch auf und traten auf die kleine Terrasse des Botschafters. Sie war leer und lag im Halbdunkel. In der Ferne ragte eine der »Sieben Schwestern« empor, wie die monströsen, unter Stalin gebauten Hochhäuser heißen, die bis heute die Moskauer Skyline beherrschen. »Europas größtes Wohnhaus«, sagte sie ohne Begeisterung. »Alles in Russland musste das Größte, das Höchste, das Schnellste oder das Hochwertigste sein. Wir können nicht wie normale Menschen leben.« Ihr Feuerzeug flammte auf »Sind Sie das erste Mal in Russland, Mr. Golani?«
»Ja«, antwortete er wahrheitsgemäß.
»Und was führt Sie in unser Land?«
Sie,
antwortete er wieder wahrheitsgemäß, aber nur im Stillen. Laut sagte er, dass er kurzfristig zu einer UNESCO-Konferenz nach St. Petersburg geschickt worden sei. Und in den folgenden Minuten sprach er überschwänglich von seinen Erfolgen, bis ihm auffiel, dass sie sich langweilte. Er spähte über ihre Schulter ins Esszimmer und bemerkte am Tisch keine Bewegung, die darauf hindeutete, dass sie in nächster Zeit gestört würden.
»Wir haben einen gemeinsamen Bekannten«, sagte er. »Genauer gesagt, wir
hatten
einen gemeinsamen Bekannten. Leider ist er nicht mehr am Leben.«
Sie führte die Zigarette an ihre Lippen und hielt sie dort wie einen schützenden Schild. »Und wer könnte das sein?«, fragte sie.
»Boris Ostrowskij«, antwortete er ruhig.
Ihr Blick wurde leer. Die Glut der Zigarette zitterte leicht im Halbdunkel. »Und wie gut kannten Sie Boris Ostrowskij?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
»Ich war im Petersdom, als er ermordet wurde.«
Er blickte direkt in das Ikonengesicht und fragte sich, ob die Angst, die er sah, echt oder nur vorgetäuscht war. Er kam zu dem Schluss, dass sie echt war, und sprach weiter.
»Er war nur meinetwegen nach Rom gekommen. Ich hielt ihn in den Armen, als er starb.«
Sie verschränkte abwehrend die Arme. »Verzeihen Sie, Mr. Golani, aber Sie verursachen mir großes Unbehagen.«
»Boris wollte mir etwas sagen, Miss Suchowa. Er wurde umgebracht, bevor er dazu kam. Und ich glaube, dass Sie die Antwort kennen.«
»Da irren Sie sich leider. Niemand in der Redaktion wusste, was Boris in Rom wollte.«
»Wir wissen, dass er Informationen hatte, Miss Suchowa. Informationen, deren Veröffentlichung hier zu gefährlich war. Informationen über irgendeine Bedrohung. Eine Bedrohung für den Westen und Israel.«
Sie warf einen Blick durch die offene Tür ms Esszimmer. »Ich nehme an, der heutige Abend wurde nur meinetwegen arrangiert. Sie wollten mich irgendwo treffen, wo der FSB nicht mithören konnte, also haben Sie eine Party gegeben und mich mit der Aussicht auf eine Exklusivstory hergelockt.« Sie legte ihre Hand leicht auf seinen Unterarm und beugte sich zu ihm vor. Als sie weitersprach, war ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. »Sie sollten wissen, dass der FSB
immer
mithört, Mr. Golani. Zum Beispiel stehen von den Gästen, die Ihre Botschaft heute Abend eingeladen hat, zwei auf seiner Gehaltsliste.«
Sie ließ seinen Arm los und lehnte sich wieder zurück. Dann
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