Das Moskau-Komplott
Mädchen, die an der Balustrade standen und den grandiosen Ausblick auf die Stadt genossen. Eines der Mädchen reichte ihm eine Kamera und posierte theatralisch, als er ein Bild von ihr machte. Sie dankte ihm überschwänglich und teilte ihm mit, dass Olga Suchowa ihre Teilnahme an der Dinnerparty in der Botschaft zugesagt habe. Als er in sein Hotelzimmer zurückkehrte, blinkte ein Lämpchen an seinem Telefon. Es war eine Nachricht vom israelischen Botschafter, der darauf bestand, dass er nach Moskau kam. »Du musst die Stadt gesehen haben, um es zu glauben, Natan! Milliardäre, skrupellose Banker und Gangster, alle schwimmen in einem Meer von Öl, Kaviar und Wodka! Wir geben am Donnerstagabend eine Dinnerparty - nur für ein paar Unerschrockene, die die Chuzpe besitzen, das Regime herauszufordern. Und untersteh dich abzusagen, ich habe mit deinem Minister schon alles abgesprochen.«
Er löschte die Nachricht, dann wählte er eine Nummer in Tel Aviv und informierte seine falsche Frau darüber, dass er länger als erwartet in Russland bleiben werde. Sie beschimpfte ihn mehrere Minuten lang und knallte dann entrüstet den Hörer auf. Gabriel behielt das Telefon noch einen Augenblick länger am Ohr und stellte sich vor, wie die FSB-Lauscher schadenfroh über ihn lachten.
13 Moskau
Auf der Moskauer Twerskajastraße rangelten die ausländischen Protzkarossen der Neureichen mit den kastenartigen Ladas und Schigulis der zu kurz Gekommenen um die besten Plätze. Der Dreifaltigkeitsturm des Kremls verschwand fast in den Abgaswolken, und sein berühmter roter Stern wirkte traurig wie eine weitere Reklame für einen importierten Luxusartikel. In der Bar des Hotels Savoy tranken die schnieken Jungs und ihre Bodyguards kühles Bier statt Wodka. Ihre schwarzen Bentleys und Range Rover warteten direkt vor der Tür, mit laufendem Motor, damit sie schneller wegkamen. Sprit zu sparen war im Russland dieser Tage kein Thema. Benzin gab es, wie nahezu alles andere auch, im Überfluss.
Um 19.30 Uhr kam Gabriel im dunklen Anzug mit silberner Diplomatenkrawatte in die Halle herunter. Als er aus dem Eingang trat, ließ er den Blick über die Gesichter hinter den Lenkrädern der geparkten Autos gleiten, bevor er den Weg zum Teatralnij Prospekt einschlug. Auf einer kleinen Erhebung thronte klotzig wie eine gelbe Festung die Lubjanka, die FSB-Zentrale. In ihrem Schatten reihten sich exklusive westliche Designer-Boutiquen, die dem Rodeo Drive in Beverly Hills oder der Madison Avenue in New York alle Ehre gemacht hätten. Gabriel konnte über dieses verblüffende Nebeneinander nur staunen, auch wenn ein wenig Theater dabei war für seine beiden Beschatter, die ihren bequemen, klimatisierten Wagen verlassen hatten und ihm nun zu Fuß folgten.
Er zog einen Stadtplan aus dem Hotel zurate - unnötigerweise, denn er hatte seine Route im Voraus geplant - und steuerte dann auf eine große Promenade am Fuß der Kremlmauer zu. Er kam an einer Reihe von Kiosken vorbei, die von sowjetischen Eishockey-Trikots bis zu Büsten von Lenin und Stalin alles verkauften, bog dann links ab und trat auf den Roten Platz. Die letzten Pilger des Tages standen vor dem Eingang zum Lenin-Mausoleum, schlürften Coca-Cola und fächelten sich mit Touristenbroschüren und Führern fürs Moskauer Nachtleben Luft zu. Er fragte sich, was sie wohl hierher zog. War es irregeleiteter Glaube? Sehnsucht nach der Vergangenheit, nach einer einfacheren Zeit? Oder kamen sie nur aus Hang zum Morbiden? Wollten sie sich mit eigenen Augen ein Bild davon machen, ob die Gestalt unter dem Glas echt war oder doch eher in ein Wachsfigurenkabinett gehörte?
Er überquerte den Platz in Richtung der zuckerstangen-farbenen Zwiebeltürme der Basilius-Kathedrale und ging dann an der östlichen Kremlmauer entlang zur Moskwa hinunter. Auf dem gegenüberliegenden Ufer in der Serafimowitschastraße 2 stand das berüchtigte »Haus an der Uferstraße«, ein riesiger Wohnkomplex, den Stalin 1931 als Luxusdomizil für die Spitzen der Nomenklatura hatte errichten lassen. Auf dem Höhepunkt der Großen Säuberung waren 766 Bewohner - ein Drittel seiner gesamten Bewohnerschaft - ermordet worden, und die »Privilegierten«, die dort residieren durften, lebten in ständiger Angst vor einem Klopfen an der Tür. Trotz seiner blutigen Geschichte beherbergte das Gebäude immer noch viele Mitglieder der alten Sowjet-Elite oder ihre Kinder, und die Wohnungen kosteten heute Millionen von Dollar. Äußerlich
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