Das Moskau-Komplott
doch waren Iwan Charkow und seine Frau Elena seinen Gedanken nie fern. Die NSA verdoppelte ihre Anstrengungen, Iwans gesamte elektronische Kommunikation abzufangen, und auf Adrian Carters Anweisung kam regelmäßig ein Mann von der Londoner CIA-Station nach Havermore und zeigte ihm die Ausbeute. Als Kind des KGB war Iwan am Telefon immer vorsichtig gewesen, und er blieb es auch jetzt. Er verbrachte diese Tage hauptsächlich zurückgezogen in seinem von Mauern uragebenen Landhaus in Schukowka, dem Prominentenvorort westlich von Moskau. Nur einmal wagte er sich ins Ausland und unternahm einen Tagesausflug nach Paris, wo er ein paar Stunden mit seiner Geliebten Jekatarina, dem Supermodel, verbrachte. Dreimal rief er von Jekatarinas Bett aus Elena an, um ihr zu sagen, dass seine Geschäftsgespräche glänzend verliefen. Einer dieser Anrufe erreichte sie, als sie gerade mit zwei Begleiterinnen im exklusiven Cafe Puschkin speiste, und ein Beschatter des Dienstes hielt den Augenblick mit einer Miniaturkamera fest. Gabriel war von ihrem melancholischen Gesichtsausdruck gefesselt, insbesondere im Vergleich zu der extrovertierten Fröhlichkeit ihrer beiden Bekannten. Er heftete das Bild an die Wand seines provisorischen Ateliers und nannte es
Drei Damen in einem Moskauer Cafe.
Eine Information, die für das Unternehmen von zentraler Bedeutung war, fehlte Gabriel noch: das genaue Datum, an dem Iwan und Elena Moskau zu verlassen und nach Knightsbridge zurückzukehren gedachten. Manchmal, wenn er allein vor der Leinwand arbeitete, stieg in ihm die Befürchtung auf, dass er womöglich eine aufwendige Party vorbereitete, zu der gar niemand kommen würde. Die Angst war unbegründet: Iwan Charkow ertrug seine Heimat nur in kleinen Dosen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis es ihn wieder außer Landes zog. Schließlich beobachtete das Ml5-Team, das seine Villa in Rutland Gate observierte, wie eine größere Sendung Wodka, Champagner und französischer Wein angeliefert wurde - ihrer Meinung nach ein untrüglicher Beweis für Iwans bevorstehende Rückkehr. Tags darauf belauschte die NSA ein Telefonat zwischen Iwan und Arkadij Medwedew, dem Chef seines privaten Sicherheits- und Nachrichtendienstes. Irgendwo in dem langen Gespräch über die Aktivitäten eines russischen Konkurrenten war das Informationsjuwel versteckt, auf das Gabriel so sehnlich gewartet hatte: In einer Woche kam Iwan zu einer, wie er es nannte, Reihe wichtiger geschäftlicher Besprechungen nach London. Anschließend wollte er von London aus nach Südfrankreich weiterreisen und in der Villa Soleil Quartier beziehen, seinem luxuriösen Sommerpalais am Mittelmeer bei Saint-Tropez.
An diesem Abend nahm Gabriel sein Essen vor dem Gemälde stehend ein. Kurz nach neun hörte er Autoreifen über die Schotterzufahrt knirschen und ein Motorengeräusch, das ihm unbekannt war. Er ging ans Fenster und spähte in dem Moment nach unten, als eine groß gewachsene Frau mit hellblondem Haar und einer Tasche über der Schulter ausstieg. Sie kam die Treppe zum Atelier herauf, stellte sich neben ihn und sah ihm beim Arbeiten zu.
»Würdest du mir erklären, warum du ein Gemälde der Cassatt fälschst?«, fragte Sarah Bancroft.
»Der Besitzer will mir das Original nicht verkaufen.«
»Was geschieht damit, wenn es fertig ist?«
»Du wirst es Elena Charkowa verkaufen.«
»Dumme Frage.« Sie beugte sich vor und nahm das Bild kritisch in Augenschein. »Achte auf deine Pinselführung bei den Händen, Gabriel. Die Farbe ist zu dick aufgetragen.«
»Mein Pinselstrich ist tadellos wie immer.«
»Wie albern von mir, etwas anderes zu behaupten.« Sie unterdrückte mühsam ein Gähnen. »Ich gehe auf dem Zahnfleisch.«
»Heute Nacht kannst du hier schlafen, aber morgen ziehst du ins Haupthaus. Onkel John erwartet dich.« »Wie ist er denn so?«
»Ich will dir die Überraschung nicht verderben.« »Wenn du noch einen Rat brauchst, kannst du mich ruhig wecken.«
»Ich komme schon allein zurecht.« »Bist du sicher?«
»Ganz sicher.«
Sarah küsste ihn auf die Wange und schlüpfte lautlos durch die Tür. Gabriel drückte die PLAY-Taste einer kleinen Stereoanlage und stand reglos da, während die ersten Töne von
La Boheme
den Raum erfüllten. Dann klopfte er mit dem Pinsel auf die Palette und malte bis Mitternacht allein weiter.
Sir John Boothby wurde seiner amerikanischen Nichte, einer attraktiven jungen Frau, die jetzt den Namen Sarah Crawford benutzte, am nächsten Morgen beim
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