Das Moskau-Komplott
blickte nach unten zum Backofen. Sarah spähte durch die Scheibe und schaute entsetzt auf. »Warum backst du das Gemälde?«
Just in diesem Augenblick rasselte der Küchenwecker. Gabriel nahm das Bild aus der Röhre, ließ es kurz abkühlen und legte es dann mit der bemalten Seite nach oben auf den Tisch. Unter Sarahs Blicken ergriff er die Leinwand am oberen und unteren Ende und zog sie fest über die Tischkante in Richtung Boden. Dann drehte er sie um neunzig Grad und zog sie ein zweites Mal über die Kante. Nachdem er das Bild eine Weile gemustert hatte, hielt er es Sarah zur Begutachtung hin. Am frühen Morgen war die Farbe noch glatt und makellos gewesen. Jetzt war unter der Einwirkung von Hitze und Druck an der Oberfläche ein feines Netz aus Rissen und Sprüngen entstanden. »Verblüffend«, flüsterte sie.
»Das ist nicht verblüffend«, erwiderte er. »Das ist eine Craquelure.«
Unmelodisch vor sich hin pfeifend, trug er die Leinwand ins Atelier hinauf, spannte sie wieder auf den ursprünglichen Keilrahmen und überzog das Gemälde mit einer dünnen Schicht gelb getöntem Firnis. Als der Firnis getrocknet war, ließ er Sarah und John Boothby ins Atelier kommen und forderte sie auf, zu sagen, welches Gemälde das Original und welches die Fälschung sei. Nach mehreren Minuten sorgfältigen Vergleichens und Beratens kamen sie darin überein, dass das rechte Bild das Original und das linke die Fälschung sei.
»Seid ihr euch absolut sicher?«, fragte Gabriel.
Nach einer weiteren Beratungsrunde nickten zwei Köpfe im Gleichtakt. Gabriel nahm das rechte Gemälde von der Staffelei und spannte es in den Rahmen, der soeben aus dem Hause Arnold Wiggins & Sons eingetroffen war. Beschämt über ihren Irrtum, trugen Sarah und John Boothby die Fälschung zum Haupthaus und hängten sie im Kinderzimmer auf. Gabriel stieg in einen Wagen des MI 5 und fuhr mit Nigel Whitcombe an der Seite nach London zurück. Das Unternehmen lag nun in den Händen Alistair Leachs. Aber das hatte es eigentlich die ganze Zeit getan.
33 Thames House, London
Gabriel wusste, dass Diskretion für die in den elitären Höhen des Kunsthandels tätigen Leute eine Selbstverständlichkeit war, doch selbst ihn überraschte es, wie strikt sich Alistair Leach an sein Schweigegelöbnis gehalten hatte. Auch nach mehr als einer Woche unermüdlichen Wühlens und Observierens hatte der MI 5 keinen Hinweis darauf gefunden, dass er in irgendeiner Weise gegen die Regeln verstoßen hätte - weder beim Telefonieren noch beim Mailen oder Faxen noch in persönlichen Gesprächen. Selbst seine Beziehung zu Rosemary Gibbons, seiner Freundin von Sotheby's, hatte er abkühlen lassen. Whitcombe, der zu Leachs Betreuer und Beichtvater ernannt worden war, erklärte bei einem letzten Essen vor Beginn des Unternehmens, warum. »Es ist nicht so, dass Alistair sie nicht mehr mögen würde«, sagte er. »Er ist ein Kavalier, unser Alistair. Er weiß, dass wir ihn beobachten, und will sie schützen. Möglicherweise ist er der letzte anständige Mann in ganz London - Anwesende natürlich ausgenommen.« Gabriel reichte Whitcombe einen Scheck über einhunderttausend Pfund und ein Blatt mit einem vorbereiteten Text. »Sagen Sie ihm, dass er seinen Text nicht vermasseln soll. Sagen Sie ihm, dass die Erwartungen nicht größer sein könnten.«
Leachs großer Auftritt war als Nachmittagsvorstellung geplant, deswegen aber nicht weniger wichtig. Graham Seymour bestand darauf, dass in dieser Phase des Unternehmens das Thames House als Befehlsstelle benutzt wurde, und Gabriel blieb nichts anderes übrig, als sich zu beugen. Die Einsatzzentrale war ein gedämpfter Raum mit flimmernden Monitoren und blinkenden Lichtern, in dem ernst dreinschauende junge Männer und Frauen arbeiteten, deren Gesichter die bunte ethnische Vielfalt des modernen Großbritannien widerspiegelten. Gabriel trug einen Gästeausweis, auf dem blackburn: usa stand. Niemand ließ sich davon täuschen. Um 14.17 Uhr wurde er von Graham Seymour darüber informiert, dass die Bühne bereitet sei und die Vorstellung nun beginnen könne. Gabriel ließ einen letzten prüfenden Blick über die Monitore gleiten, dann nickte er mehreren Ml5-Mitarbeitern, die ihn erwartungsvoll ansahen, zu. Seymour beugte sich über ein Mikrofon und gab das Kommando »Vorhang auf«.
Er war konservativ gekleidet und hatte das nachsichtige Lächeln eines Geistlichen. Seine Visitenkarte wies ihn als Jonathan Owens aus, Mitherausgeber einer
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