Das Moskau-Komplott
eine Bombe zündete. Einundzwanzig Menschen wurden getötet, darunter auch Dinas Mutter und zwei ihrer Schwestern. Dina selbst war schwer verletzt worden und hinkte bis heute leicht beim Gehen.
In den folgenden Tagen stand das Leben Gabriels und seines Teams in scharfem Kontrast zu dem des Ehepaars, hinter dem sie her waren. Während Iwan Charkow und seine Frau Elena in ihrem Palast an der Baie de Cavalaire zahlreiche Gäste empfingen, mieteten Gabriel und sein Team drei Autos und mehrere Motorroller unterschiedlicher Marken und Farben. Während Iwan und Elena im alten Hafen elegant zu Mittag aßen, nahmen Gabriel und sein Team eine umfangreiche Lieferung in Empfang, bestehend aus Waffen, Abhörgeräten, Kameras und sicheren Kommunikationseinrichtungen. Während Elena und Iwan auf der
October,
Iwans siebzig Meter langer Motorjacht, im Golf von Saint-Tropez kreuzten, versteckten Gabriel und sein Team Miniaturkameras mit Sendern in der Nähe der Einfahrt zur Villa Soleil. Und während Iwan und Elena in der Villa Romana, einem sündhaft teuren und bei den Russen sehr beliebten Edelrestaurant, fürstlich speisten, aßen Gabriel und sein Team zu Hause und planten ein Zusammentreffen, von dem sie hofften, dass es möglichst bald stattfinden würde.
Der erste konkrete Schritt zur Herbeiführung dieses Treffens erfolgte, als Michail mit einem neuen amerikanischen Pass in der Tasche in ein rotes Audi-Cabrio stieg und zum internationalen Flughafen in Nizza fuhr. Dort holte er eine attraktive junge Amerikanerin ab, die soeben aus London Heathrow eingetroffen war: Sarah Crawford, wohnhaft in Washington und zuletzt Gast auf dem Landgut Havermore im englischen Gloucestershire. Zwei Stunden später checkten sie im Chateau de la Messardiere ein, einem luxuriösen Fünf-Sterne-Hotel nur wenige Minuten vom
centre ville
entfernt. Der Gepäckträger, der dem jungen Paar das Zimmer mit Meerblick gezeigt hatte, berichtete seinen Kollegen, die beiden hätten kaum die Hände voneinander lassen können. Am nächsten Morgen, als die Gäste beim Frühstücksbuffet waren und die Zimmermädchen kamen, glich das breite Doppelbett einem Schlachtfeld.
Sie bewegten sich in derselben Welt, jedoch auf parallelen Ebenen. Wenn Elena beschloss, mit den Kindern in der Abgeschiedenheit der Villa Soleil zu bleiben, verbrachten Sarah und ihr Liebhaber den Tag am Pool im Messardiere oder »Mess«, wie sie das Hotel liebevoll nannten. Wenn Elena beschloss, mit den Kindern den Tag über in der sanften Brandung des Strandclubs Tahiti Plage zu tollen, lagen Sarah und ihr Geliebter am Plage de Pampelonne im Sand. Und wenn Elena am späten Nachmittag in der Rue Gambetta shoppen ging, konnte man Sarah und ihren Geliebten beim Schaufensterbummel in der Rue Georges Clemenceau oder bei einem Drink in einer Bar an der Place Carnot sehen. Und am Abend, wenn Elena und Iwan in der Villa Romana oder einem anderen Stammlokal der Russen dinierten, aßen Sarah und ihr Geliebter friedlich im »Mess« - in nächster Nähe ihres Zimmers, falls das Verlangen, übereinander herzufallen, zu groß wurde.
So ging es scheinbar ziellos weiter bis zum frühen Nachmittag des vierten Tages, als Elena beschloss, wieder einmal im Grandjoseph, ihrem Lieblingsrestaurant in Saint-Tropez, zu essen. Sie reservierte früh, was im August selbst für die Frau eines Oligarchen unerlässlich war, und wenn sie es auch nicht wusste, so wurde ihr Anruf doch von einem in großer Höhe schwebenden Spionagesatelliten der NSA abgefangen. Wegen eines kleinen Verkehrsunfalls auf der D6i trafen sie und ihre Kinder mit siebzehn Minuten Verspätung im Restaurant ein, wie immer begleitet von vier Leibwächtern. Jean-Luc, der Oberkellner, begrüßte Elena überschwänglich mit Küsschen auf beide Wangen, bevor er die Gruppe zu ihren Tischen vor der cremefarbenen Sitzbank geleitete. Elena setzte sich diskret mit dem Rücken zum Raum. Ihre Leibwächter nahmen an den beiden Tischenden Platz. Von der Postkarte, die zusammen mit der Flasche Rose gebracht wurde, nahmen sie kaum Notiz. Doch Elena jagte sie einen Angstschauer über den Rücken. Sie verbarg es mit einem Ausdruck leichter Verstimmung, dann nahm sie die Karte und las, was von Hand auf die Rückseite gekritzelt war:
Elena
Ich hoffe, Sie haben Freude an dem Bild der Cassatt. Dürfen wir Ihnen Gesellschaft leisten ?
Sarah
37 Saint-Tropez, Frankreich
Ein Weinglas in der Hand, Michail an ihrer Seite, blickte Sarah quer durch das volle Restaurant
Weitere Kostenlose Bücher