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Das Moskau-Komplott

Das Moskau-Komplott

Titel: Das Moskau-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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denken, mit wem er telefonierte, und hielt den Blick auf die Kinder gerichtet. Sie waren wie Miniaturausgaben ihrer Eltern: Nikolaj blond und gedrungen, Anna schlaksig und dunkelhaarig. »Sie sollten mal Fotos von Iwan und mir sehen, als wir in dem Alter waren«, bemerkte Elena, als könne sie Sarahs Gedanken lesen. »Das ist noch erschreckender.«
    »Als hätten Sie zwei kleine Doppelgänger hervorgebracht. «
    »Das haben wir, bis zur Form ihrer Zehen.«
    »Und charakterlich?«
    »Anna ist viel selbstständiger als ich in dem Alter. Ich hing immer am Rockzipfel meiner Mutter. Anna lebt in ihrer eigenen Welt. Meine Anna ist gern allein.«
    »Und Nikolaj?«
    Elena schwieg einen Moment, als überlege sie, ob sie die Frage ausweichend oder ehrlich beantworten solle. Sie entschied sich für Letzteres. »Mein kleiner Nikolaj ist viel lieber als sein Vater. Iwan wirft mir vor, ihn zu verwöhnen. Iwans Vater war unnahbar und autoritär, und Iwan kommt leider nach ihm. Russische Männer sind nicht immer die besten Väter. Bedauerlicherweise ist das eine kulturelle Eigenart, die sie an ihre Söhne weitergeben.« Sie sah Michail an und fügte auf Russisch hinzu: »Würden Sie mir da zustimmen, Michael?«
    »Mein Vater war Mathematiker«, antwortete er, ebenfalls auf Russisch. »Er hatte zu viele Zahlen im Kopf, um allzu viel an seinen Sohn zu denken. Aber er war sanft wie ein Lamm, und Alkohol hat er nicht angerührt.«
    »Dann können Sie von Glück reden. Der Hang zum Alkohol ist eine weitere Eigenart, die unsere Männer ihren Söhnen häufig vererben.« Sie hob ihr Weinglas und fuhr auf Englisch fort: »Obwohl ich gestehen muss, dass ich an einem warmen Sommertag eine gewisse Schwäche für kühlen Rose habe, insbesondere für den Rose, der aus den Weinbergen um Saint-Tropez kommt.«
    »Eine Schwäche, die ich teile«, sagte Sarah und erhob ebenfalls ihr Glas.
    »Wohnen Sie hier in Saint-Tropez?«
    »Etwas außerhalb«, antwortete Sarah. »Im Chateau de la Messardiere.«
    »Das Hotel soll bei Russen sehr beliebt sein.«
    »Sagen wir mal so«, erwiderte Michail, »niemand dort zeigt sich überrascht über meinen Akzent.«
    »Ich hoffe doch, unsere Landsleute benehmen sich.«
    »Größtenteils. Allerdings gab es am Pool einen kleineren Vorfall zwischen einem etwas reiferen Moskauer Geschäftsmann und seiner blutjungen Freundin.«
    »Was für einen Vorfall?«
    Michail tat so, als überlege er. »Unstillbares Verlangen wäre wohl die salonfähigste Umschreibung.«
    »Anscheinend kommt so etwas hier häufiger vor«, sagte Elena. »Wir Russen lieben Frankreich und sind sehr gerne hier, aber ich weiß nicht, ob die Franzosen diese Liebe erwidern. Einige unserer Landsleute wissen noch nicht, wie man sich in guter Gesellschaft benimmt. Sie trinken lieber Wodka als Wein. Und sie prahlen gern mit ihren schönen jungen Geliebten.«
    »Die Franzosen mögen jeden, der Geld und Macht hat«, sagte Michail. »Und im Moment haben die Russen beides.«
    »Wenn wir nur lernen könnten, uns zu benehmen.« Elena blickte von Michail zu Sarah. »Übrigens, die Antwort auf Ihre Frage lautet Ja.«
    Im ersten Moment war Sarah verwirrt. Elena tippte mit dem Finger auf die Postkarte. »Das Bild der Cassatt«, sagte sie. »Es macht mir Freude. Sehr große Freude sogar. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie es wissen, aber ich besitze sechs weitere Gemälde von Madame Cassatt. Ich kenne ihr Werk bestens. Ich glaube, das neue könnte mein Lieblingsbild werden.«
    »Das freut mich. Es lindert den Schmerz über den Verlust etwas.«
    »War es für Sie so schlimm?«
    »Die erste Nacht war schlimm. Und am nächsten Morgen war es noch schlimmer.«
    »Dann kommen Sie es sich doch ansehen. Es ist nämlich hier, müssen Sie wissen.«
    »Wir möchten uns nicht aufdrängen.«
    »Aber ganz und gar nicht. Ich bestehe sogar darauf, dass Sie morgen kommen. Sie essen mit uns zu Mittag, und Sie können sich im Swimmingpool erfrischen, wenn Sie mögen.« Und dann setzte sie, fast als sei es ihr nachträglich eingefallen, hinzu: »Und natürlich können Sie sich das Bild ansehen.«
    Ein Kellner erschien und stellte einen Teller Hacksteak mit Pommes vor jedes Kind hin. Elena forderte Sarah und Michail auf, einen Blick in die Speisekarte zu werfen, und schlug gerade ihre eigene auf, als ihr Handy klingelte. Sie zog es aus der Handtasche und klappte den Deckel auf. Das folgende Gespräch war kurz und wurde auf Russisch geführt. Hinterher klappte sie das Handy laut wieder zu und

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