Das Moskau-Komplott
Und jeder Ausblick, dachte Sarah, war atemberaubender als der vorhergehende.
Am Ende eines langen, kühlen Säulengangs mit einem Marmorboden im Schachbrettmuster stießen sie endlich auf Elena. Sie trug ein trägerloses Top und einen bodenlangen Wickelrock, der bei jedem Windhauch schillerte. Iwan stand neben ihr, ein beschlagenes Weinglas in der Hand. Wieder trug er Schwarz und Weiß, wie um zu illustrieren, dass er ein Mann der Gegensätze war. Diesmal freilich waren die Farben vertauscht: schwarzes Hemd, weiße Hose. Während sie einander mit der Zwanglosigkeit einer aufgefrischten alten Freundschaft begrüßten, fing seine riesige Armbanduhr die Sonnenstrahlen ein und blendete Sarah. Bevor er sie mit einem feuchten Kuss und einem Duftschwall seines teuren Aftershaves bedachte, stellte er sein Weinglas achtlos auf dem Sockel einer Statue ab. Es war eine griechische Nackte. Für einen Moment, so dachte Sarah gehässig, war sie der teuerste Untersetzer der Welt.
Sofort wurde klar, dass Elenas Einladung zu einem ruhigen Essen mit anschließendem Bad im Pool von Iwan in eine aufwendigere Geschichte umfunktioniert worden war. Auf der Terrasse unter der Kolonnade war ein Tisch für vierundzwanzig Personen gedeckt. Mehrere hübsche junge Mädchen tummelten sich bereits in einem Pool von der Größe einer kleinen Bucht, behütet von einem Dutzend Russen mittleren Alters, die sich auf Liegesofas und Diwanen räkelten. Iwan stellte seine Gäste vor, als gehörten sie zu seinem Besitz. Darunter waren ein Mann aus der Nickel- und ein anderer aus der Holzindustrie sowie einer mit einem Fuchsgesicht, der in Genf ein Sicherheitsunternehmen für Privatleute und Unternehmen leitete. Die Mädchen im Pool stellte er summarisch vor, als hätten sie keine Namen, nur eine Funktion. Eine war das Supermodel Jekatarina, Iwans Geliebte, ein mageres Kind von neunzehn Jahren mit Schmollmund, scheinbar nur aus Armen, Beinen und Brüsten bestehend, alles perfekt karamellfarben gebräunt. Sie musterte Sarah scharf wie eine potenzielle Rivalin, dann tauchte sie wie ein Delfin in den Pool und verschwand unter der Wasseroberfläche.
Sarah und Michail setzten sich zwischen die Frau des Nickelmagnaten, die sich anscheinend zu Tode langweilte, und den Holzhändler, der freundlich, aber geistlos war. Iwan und Elena kehrten zur Kolonnade zurück, wo in lärmenden Scharen weitere Gäste eintrafen. In Wellen fluteten sie die Treppe herab wie Revolutionäre, die den Winterpalast stürmten, und mit jeder neuen Gruppe schien die Party eine Idee lauter und ausgelassener zu werden. Mehrere eisgekühlte Flaschen Wodka wurden aufgefahren, Tanzmusik pulsierte aus unsichtbaren Lautsprechern. Auf der Terrasse wurde fürs Essen ein zweiter Tisch aufgestellt, dann ein dritter. Der riesige Pool glich bald einem Springbrunnen, in dem knackige Nymphen von fetten Millionären und muskelbepackten Bodyguards begrapscht und in die Luft geworfen wurden. Elena wanderte ungezwungen von Gruppe zu Gruppe, verteilte Küsschen und erfrischende Getränke, doch Iwan hielt sich abseits und beobachtete das heitere Treiben wie eine Vorstellung, die zu seinem Privatvergnügen gegeben wurde.
Es war fast drei Uhr, als er zu Tisch rief. Nach Sarahs Schätzung waren es mittlerweile alles in allem siebzig Gäste, doch wie durch ein Wunder wurde aus Iwans Küche mehr als genug Essen herbeigeschafft, um eine doppelt so große Gesellschaft zu verköstigen. Sie saß mit Michail an Iwans Tischende, im unmittelbaren Dunstkreis seiner Person und seines Duftwassers. Es wurde ein wüstes Gelage. Iwan aß viel, aber ohne Genuss, und stach strafend und mit den Gedanken woanders auf die Speisen ein. Gegen Ende besserte sich seine Laune, als Sonja, ihr russisches Kindermädchen, mit Anna und Nikolaj erschien. Er nahm die Kinder auf den Schoß und umschlang sie mit seinen kräftigen Armen. »Die beiden sind mein Ein und Alles«, sagte er zu Sarah. »Wenn ihnen etwas zustoßen würde...« Seine Stimme verlor sich, als fehlten ihm die Worte. Dann setzte er drohend hinzu: »Gott gnade dem, der meinen Kindern etwas antut.«
Es war eine seltsam düstere Bemerkung, um eine Tafel aufzuheben, doch die übrigen Gäste schienen sich nichts dabei zu denken. Sie standen vom Tisch auf und strömten die Treppe hinab, um ein letztes Bad im Pool zu nehmen. Als Michail sich erheben wollte, ließ Iwan die Kinder los und packte ihn am Handgelenk. »Gehen Sie nicht so schnell«, sagte er. »Sie wollten mir doch noch
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