Das Moskau-Spiel
Rachmanow zog an seiner Zigarre und wusste, was Eblow überlegte, weil auch er darüber nachdachte. Tag und Nacht. Er war froh, jemanden getroffen zu haben, mit dem er frei sprechen konnte, ein seltenes Privileg in der Sowjetunion, wenn man zu den Kadern gehörte, jener Gruppe von Funktionären, die dem Ganzen Struktur und Halt gaben, ohne die es keine Stabilität gab, keine Kontinuität. Er würde nie vergessen, wie er Eblow, den er in den vergangenen Jahren immer wieder hier und dort gesehen hatte, ohne mehr als höchstens ein paar Worte mit ihm zu wechseln, wie er die sen ruhigen KGB – Major auf einem Fest in einer Datscha von Freunden aus Künstlerkreisen in Nikolo-Chowanskoje getroffen hatte, dort hingeschleppt von einer bald verblassten Freundin. Es war eines dieser geduckten Holzhäuser, blau gestrichen, schon vom Wetter dunkelfleckig angefressen und fast versteckt auf einem Grundstück voller Laubbäume und Büsche. Nur ein Feldweg führte dorthin, der sich bei Regen in eine Matschbahn verwandelte.
Eblow vermied gemeinhin private Feste, auf die anderen zwang ihn sein Amt. Er fand diese Aufläufe von Funktionären, die sich selbst bespiegelten und ihren Vorgesetzten hinten hineinkrochen, zum Kotzen, diese Häufung von unterwürfigen Schmierfinken, die es schon immer gewusst hatten, diese Bürokraten, die sich ihre Gesäße breitsaßen im Bemühen, sich um keinen Millimeter zu bewegen, diese Ideologen der Suslow-Schule, die Ponarmajows und Sagladins, die es schafften, ganze Bücher vollzuschreiben, ohne etwas zu sagen, diese Staatsschriftsteller, deren Ruhm allein der Macht zu verdanken war und die mit ihren Füßen auf der russischen Literatur herumtrampelten, in deren Sonne sie sich wärmten, in der verborgenen Hoffnung, die Zensur möge ewig währen wie die Privilegien der Mitglieder des Schriftstellerverbands.
Sie waren eine kleine Gruppe gewesen, eine Tänzerin vom Bolschoi, zwei mittelmäßige Schriftsteller, besagte Freundin, ein Mitglied des Moskauer Stadtsowjets und eben Rachmanow und Eblow. Die anderen beiden Männer interessierten sich am meisten für die Tänzerin und zogen bald mit ihr und der Freundin ab, irgendwohin, wo sie ungestört weiterbuhlen konnten. Eblow und Rachmanow blieben übrig, ihr Alkoholpegel war hoch, wie es der Nachtzeit entsprach, zumal die Gastgeber auch noch grusinischen Weinbrand ausgeschenkt hatten, der, wie sie versicherten, locker mit Cognac mithalten könne. Sie lehnten sich gegen einen Zaun, die Sommernacht war warm, am Himmel glänzten Sterne.
Es war unwirklich still. Und dann kamen sie ins Reden wie zwei Menschen, die sich sofort verstanden und die nach kurzem Anlauf auch von ihren Ängsten sprachen, wobei sie wussten, dass dieser Mut gerade von diesen Ängsten gespeist war, in denen gleich einige Teufel miteinander tanzten.
Es war ein einmaliger Abend tief in der Breschnew-Zeit, als sich das Unheil erst in der Ferne ankündigte, auch wenn sie später wussten, dass es schon damals längst da gewesen war. Danach trafen sie sich immer wieder und wurden Freunde oder bestätigten eine Freundschaft, die sie an einem Holzzaun begründet hatten. Nicht einmal mit Ludmilla sprach Eblow so offen, dies aber, um sie zu schützen, Wissen war gefährlich.
Seitdem hatten Rachmanow und Eblow oft zusammengesessen und geraucht, manchmal sogar teure Zigarren.
»Es laufen hier seltsame Leute herum, Roman Romanowitsch. Leute, die das Gleiche tun wie ich, im Prinzip jedenfalls, nur für die andere Seite. Weißt du, inzwischen ist mir das fast egal. Sollen sie doch alles wissen.«
Rachmanow schmunzelte. »Ein Tschekist mit Depressionen.«
Eblow lächelte und räumte mit einer kräftigen Armbewegung einen Stapel Akten auf die andere Seite seines Schreibtischs.
»Unsere Ideologen würden eine solche Haltung als Psychologisierung verdammen. Wenn du so weitermachst, muss ich dich festnehmen.« Eine Rauchwolke stieg auf, dann lachte Eblow trocken.
Sie schwiegen lange. Jeder hing seinen Gedanken nach. Eblow erinnerte sich, wie ihr Plan gereift war, undeutlich noch, aber immerhin, und wie sie ihn dann hatten beiseitelegen können, weil die Katastrophe aufhaltbar schien, aber das hatte sich inzwischen als Illusion entpuppt. Seit Andropow fast nur noch am Dialyseapparat gehangen hatte, ein Wrack, das künstlich am Leben erhalten wurde, auch wenn bald niemand, der Patient eingeschlossen, nur ein Fünkchen Hoffnung hegte, dass der Generalsekretär mehr war als ein lebender Leichnam. Das
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