Das Moskau-Spiel
ziemlich weit fortgeschritten, daran krepiert man todsicher. Keine Heilung, nichts und nirgendwo.«
Der Wirt servierte Speisen und Getränke, dann klopfte er weg.
»Wie lang hat er noch?« Fath zersäbelte seinen Hering und steckte sich das erste Stück in den Mund.
»Höchstens drei, vier Wochen. Eher weniger.«
»Das war ja eine echte Kurzvorstellung. Eine neue sowjetische Mode, erst Andropow, jetzt Tschernenko, der Wegwerfparteichef. Na ja, wer sich’s leisten kann …« Das zweite Stück Hering verschwand in Faths Mund und erfuhr schmatzend seine Verkleinerung, bevor es mit einem Glucks in der Speiseröhre landete. »Und wer wird der Neue? Wieder ein Greis?«
»Weiß ich nicht. Es gibt da nur Spekulationen.«
»Schießen Sie los.« Das nächste Stück Fisch ging den unvermeidlichen Weg.
»Gorbatschow, mal ein ganz Junger, jedenfalls für sowjetische Verhältnisse.«
»Ist das nicht dieser Bauernfritze aus Stawropol?« Das letzte Stück Hering, zuvor sorgfältig befreit von der Schwanzflosse, tauchte hinab in den Magen des Journalisten.
»Ja.«
»Blasser Typ. Spielball in den Händen von Gromyko …«
»Nichts davon. Sie werden es sehen. Er wird den ganzen Laden umkrempeln.«
»Der? Das glaube ich nicht. Sie wollen mich auf den Arm nehmen …«
»Nein, das Politbüro hat sich mit der Lage, vor allem der Wirtschaft, beschäftigt und sich tatsächlich zu der Einsicht durchgerungen, dass der Kommunismus, das wahre Paradies, doch noch nicht vor der Tür steht. Sie werden zwar nie zugeben, dass sie längst pleite sind, aber für ihre Verhältnisse haben sie ganz schön bittere Pillen geschluckt. Gerade der alte Gromyko hat Klartext geredet. Es muss ziemlich wild hergegangen sein auf der Sitzung.«
»War Tschernenko dabei?«
»Körperlich schon.«
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»Sie sollten weniger rauchen, Genosse Major.« Der Arzt saß hinter seinem Schreibtisch, ein Blatt vor den Augen, die Brille dicht an der Nasenspitze, und schaute Eblow streng an. Hinter ihm an der Wand hing ein Bild des Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets, Konstantin Ustinowitsch Tschernenko, genauer gesagt, der Generalsekretär lugte gewissermaßen über den Kopf des Professors hinweg. »Aber die Werte sind in Ordnung. Ein paar Jahre haben sie noch.« Er lächelte.
Eblow mochte den Sarkasmus von Professor Smirnow, der mit seinen schütteren schwarzen Haaren und der starken Brille auf der Nase ein wenig einer halb gerupften Eule ähnelte.
»Eigentlich haben sich Ihre Werte in den letzten Jahren kaum verändert, nur der Blutdruck scheint mir ein bisschen zu hoch, aber vielleicht ist das nur ein Ausreißer. So was gibt’s. Sie sollten mehr Sport machen, keinen Alkohol trinken und, wie gesagt, die Raucherei ist eine Pest.« Er stöhnte ein wenig, um anzuzeigen, dass er genau wusste, was sich Eblow aus seinen segensreichen Ratschlägen machen würde.
»Ach, Genosse Major, schauen Sie sich doch das mal selbst an.« Er schob ihm ein Blatt Papier zu. Eblow las es, nickte und steckte es ein. »Da links unten sehen Sie Ihre Blutdruckwerte. Vielleicht sind die morgen schon wieder normal.«
»Das lässt sich ja überprüfen.«
»Dann sind wir für heute fertig, Genosse Major. In ein paar Tagen sollten Sie sich wieder vorstellen, ja? Wegen des Blutdrucks, den möchte ich noch einmal messen. Nur zur Sicherheit.«
»Natürlich, Genosse Professor.« Er lachte lautlos.
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Am Abend hatte Theo sich in der Stadt herumgetrieben, und je näher die Zeit rückte, desto nervöser wurde er.
Er hatte die ganze Nacht kaum geschlafen und an Sonja gedacht, die ihn schon einmal hereingelegt hatte und jetzt vielleicht die große Falle für ihn aufgestellt hatte. Es war kalt gewesen, durch Fenster und Türen zog es, der Heizstrahler erwies sich als äußerst schwächlich und erzeugte mehr Lärm als Wärme. Er packte alle Decken über sich, die er finden konnte, das half immerhin gegen die Kälte. Aber nicht, einzuschlafen. Die Ungewissheit quälte ihn. Hatte sie wirklich ein schlechtes Gewissen, oder hatte sie es ihm nur vorgespielt? Wenn er in der Gerichtsmedizin einbrach und erwischt wurde, würden sie ihn fertigmachen. Ein paar Jahre Knast waren sicher. Eine grauenhafte Vorstellung, zumal er genug wusste, um russische Gefängnisse zu fürchten. Er war einige Minuten ganz mutlos, erholte sich aber wieder. Er fragte sich, ob er Paula jemals wiedersehen würde oder ob er gerade dabei war, die größte Dummheit seines Lebens zu begehen.
Dann stellte er
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