Das Moskau-Spiel
viele Rechnungen nicht bezahlt.«
»Du kannst ja mal anfangen damit.«
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Theo packte die Akte unter sein Hemd, sie klemmte im Gürtel. Er spielte mit dem Gedanken, die Aktezurückzulegen, sie behinderte ihn. Aber dann ließ er es. Schließlich arbeitete er beim Nachrichtendienst, und vielleicht würde der BND ihn mit offenen Armen empfangen, wenn er seine Trophäe vorzeigte, auch wenn Theo nicht ernsthaft daran glaubte. Und wenn sie ihn gleich schnappten, dann konnte er ein nettes Verwirrspielchen aufziehen. Was wollte ein deutscher Agent mit einer alten Akte über einen alten Mann, dessen Namen fast schon alle vergessen hatten? Nein, er behielt die Akte. Und jetzt musste er versuchen abzuhauen, bevor die ersten Mitarbeiter erschienen. Sie würden den Einbruch bald bemerken.
Nur, wie sollte er hier ungeschoren herauskommen? Und wie sollte er aus Russland herauskommen, wenn seine Suche beendet war? Wenn er sie überhaupt würde beenden können? Die Behörden wussten, dass er im Land war, und Sonja hatte ihnen verraten, was er suchte, wenn sie es nicht ohnehin wussten. Es war klar, dass er der Einbrecher war, und das eigene Versagen würde FSB und Miliz noch mehr anspornen, ihn zu greifen. Er setzte sich wieder auf Suchanows Schreibtischstuhl und überlegte. Wenn er versuchte in die deutsche Botschaft zu kommen? Doch das wäre das erste Ziel, das die anderen abschirmen würden. Wenn er nur in der Nähe der Botschaft erschien, würden sie ihn schnappen. Und selbst wenn er es in die Botschaft schaffte, was dann? Er besaß keine diplomatische Immunität, er war ein Verbrecher, und die Russen würden Druck machen, bis er im Knast saß, vorzugsweise in einem russischen. Das deutsche Außenministerium hatte keine Hemmungen gehabt, einen Bremer Türken in Guantánamo vergammeln zu lassen, warum sollte es einen deutschen Kriminellen vor dem russischen Staatsanwalt schützen? Es ging um Öl und Gas.
Theo war ratlos. Dann zwang er sich, die Aufgabe in Teile zu zerlegen. Zuerst musste er hier heraus, was danach kam, konnte er später überlegen. Er war von außenüber den Stacheldraht gekommen, weil er einen Müllcontainer benutzt hatte. Vielleicht war schon entdeckt worden, dass jemand eingedrungen war? Er schaute auf die Uhr, fast halb vier, nein, wahrscheinlich nicht. Er ging seinen Plan noch einmal durch. Jetzt brauchte er nur noch Geduld. Und unverschämt viel Glück.
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Weihrauch hatte die Nachricht als Erster. Er klopfte nur kurz und stürzte dann in Henris Zimmer. »Tschernenko ist tot, habe es gerade gehört, absolut sichere Quelle. Es wird schon nach Bonn gemeldet.«
»Überrascht Sie das, er war doch so krank?«
Weihrauch setzte sich auf den Besucherstuhl. Immerhin gehörte Henri zu den Ersten, denen er die Neuigkeit verriet, auch weil sie, wie viele andere, in letzter Zeit oft spekuliert hatten über den offenbar bedenklichen Gesundheitszustand des Generalsekretärs und die Erstarrung der sowjetischen Politik, die, da war sich Weihrauch sicher, irgendwann in einem großen Zusammenbruch enden musste. »Die sowjetischen Völker werden bei erster Gelegenheit Reißaus nehmen und die Russen allein lassen. Es wird Hungerunruhen geben, die Militärs werden nach der Macht greifen, und sie werden den Westen erpressen. Frieden gegen Subventionen oder irgend so etwas.« Tschernenko war für Weihrauch das Sinnbild des Stillstands. Und nun war das Sinnbild tot.
Henri schaltete das Radio ein, getragene klassische Musik, und gleich wieder aus. »Stimmt«, sagte er. Und er dachte an Eblow und Rachmanow, auch an Mavick und die zehn Millionen Dollar, die er den Amerikanern aus den Rippen geleiert hatte.
Während Weihrauch ihn fragend anschaute, wählte Henri eine Nummer auf dem Telefon.
»Fath.«
»Er ist tot«, sagte Henri.
»Sicher?«, fragte der Korrespondent.
»Absolut sicher. Schalt das Radio ein.«
Als er aufgelegt hatte, lächelte er Weihrauch an. »Ich hatte so was wie eine Wette mit dem Kollegen laufen.«
Weihrauch grinste zurück und nickte. Das verstand er, wie ihm sowieso wenig Menschliches fremd war. »Was ich nach wie vor nicht kapiere: Warum haben die einen todkranken Mann zum Chef gewählt? Das Politbüro war bisher für alles Mögliche bekannt zwischen Skrupellosigkeit und Lügen. Aber nicht für Dummheit. In einer Zeit, in der es wahrlich hoch hergeht, setzen die eine Mumie auf den Thron. Das ist doch absurd.«
Natürlich ist das absurd, wenn man es so betrachtet, dachte Henri. Aber wenn
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