Das Moskau-Spiel
verzweifelte. »Vorkriegsstimmung.«
Deshalb hatte Theo nicht den Kopf geschüttelt. Er fand den Vergleich etwas schief. Aber ganz falsch war er vielleicht doch nicht. »Hat Scheffer das genauso gesehen?«
»Weiß nicht.« Trautmann kratzte sich am Ohr. »Wahrscheinlich. Man musste schon taub und blind sein, um es nicht mitzukriegen. Jedenfalls wenn man in Moskau war. Es war eine Scheißlage. Die Typen, die dafür verantwortlich sind, der Schmidt und so weiter, die ergehen sich heute darin, ihre strategische Überlegenheit und Großartigkeit vorzuführen. Eitle Säcke. In Wahrheit haben sie die Welt ins Scheißhaus geführt und auf die Brille des großen Klos gestellt. In schönster Zusammenarbeit mit den Russen, bis Gorbi uns alle aus dem Scheißhaus herausgeholt hat. Allein hätten diese Superstrategen und Weltpolitiker da nämlich nicht mehr herausgefunden.«
»Und Scheffer?«
»Was heißt und Scheffer? «
»Hat er mal was gesagt über die Lage, bevor er nach Moskau ging oder danach?«
Trautmann überlegte. Auch darüber, was für einen Sinn eine solche Frage haben könnte. Wahrscheinlich keinen. Der Kerl stocherte im Nebel herum. Aber das tat er doch recht überzeugend. Er grinste. »Nein, Scheffer war nicht der Typ, der politische Kommentare absonderte. Von den Schwätzern gab es hier genug. Bis heute.« Er kratzte sich am Kopf. »Scheffer hat sich nicht viel um Politik geschert. Er war vielleicht der beste Mann, den wir je hatten seit den Tagen des seligen Gehlen. Er konnte sich hier einiges rausnehmen und Extrawürste braten, weil er restlos loyal war. Er war in einem ganz altmodischen Sinn treu. Wenn der Dienst ihm einen Auftrag gab, führte er ihn aus. Was er darüber dachte, behielt er für sich. Verrat war für ihn das Schlimmste. Vielleicht war diese Treue sein Überlebensrezept, denn so einer wie er hätte eigentlich verzweifeln müssen in diesem Saustall.«
Theo erinnerte sich, dass Scheffer nie über die Leitung des Dienstes geschimpft hatte, als sie gemeinsam in Moskau gewesen waren. Dabei gehörte das zu den Lieblingsbeschäftigungen der BND – Mitarbeiter.
»Dein Vater, übrigens, auch der war nun wirklich kein Schwätzer, dein Vater hat irgendwann mal gesagt, dass diese Typen uns alle noch umbringen werden. In der Kantine, da hatte er mal so einen … Ausbruch. Da hatte er wohl was in der Zeitung gelesen oder im Radio gehört …«
»Wann?«
Trautmann kratzte sich wieder. »Ich glaube, nachdem er aus Moskau zurückgekommen war. So genau weiß ich das nicht mehr.«
»Und wen meinte er?«
»Na, die Leute vom Scheißhaus. Er war da nicht der Einzige, dem es reichte.«
Theo überlegte, was er Trautmann verraten durfte über Scheffers Tod. Klein hatte nichts darüber gesagt. »Was war Ihre erste Reaktion, als Sie von Scheffers Tod erfuhren?«
Trautmann erhob sich, holte aus der Schreibtischschublade eine Schachtel Zigaretten, ging zum Fenster, öffnete es und steckte sich eine an. »Mord, was sonst? Was glaubst du denn?«
»Die Russen sagen, es war ein Unfall.«
Trautmann lachte keuchend, aber nicht bitter, fast fröhlich, soweit ihm das möglich war. »Es hat sich nicht so viel geändert, jedenfalls in der Hinsicht. Die haben schon immer gelogen, wie es ihnen passte. Und du sollst herausfinden, was dem armen Kollegen passiert ist? Auch in Moskau?«
Theo zögerte, dann nickte er.
»Du armes Schwein. Wer ist denn auf diese Schwachsinnsidee gekommen?«
Er zog den Rauch seiner Zigarette tief ein.
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»Ich hab heute Abend noch eine Verabredung«, sagte Henri, der sich an den Rahmen der offenen Tür lehnte.»Jetzt ist es fast sechs, so langsam müsste ich in meine Wohnung.«
»Ein Rendezvous! Geht das bei Ihnen immer so schnell?« Angela lachte ihn offen an.
»Klar, und morgen ist die Heirat.«
Sie grinste. »Kein Wunder, dass die Scheidungsrate steigt.« Sie schaute auf ihren Schreibtisch, dann stand sie auf, nahm aus dem Schrank Mantel und Schal, während er in seinem Zimmer verschwand, um seine Kleidung zu holen.
Draußen klirrte die Kälte. »Vorhin herrschte der Matsch und jetzt schon Väterchen Frost. Der kommt manchmal ganz schnell. Und es wird noch übler«, sagte Angela. »Ich hoffe, Sie haben was Warmes zum Anziehen mitgebracht.«
»Klar.« Aber es war in seinem Koffer.
Er fror schon nach ein paar Minuten. Sie begegneten nur wenigen Fußgängern, und die waren vermummt bis zur Unkenntlichkeit. Straßenlaternen spendeten schummriges Licht. Die meisten Fenster der
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