Das Moskau-Spiel
entgegenkam.
»Wie einer, der aus dem Regen kommt.« Und er dachte: Der Spion, der aus dem Regen kommt.
»Sie machen Sachen … trinken Sie einen Kaffee mit mir?«
Henri zögerte, aber dann willigte er ein. Ein Kaffee, ja, das wäre gut für ihn. Ihn fröstelte. Das Papier in der Unterhose kratzte. »Ich komme gleich, muss ge rade den Mantel ausziehen.« Er schmiss den Mantel über den Besucherstuhl seines Büros, ging aufs Klo und steckte die Blätter hastig in die Jackettinnentasche. Er ermahnte sich, ruhig zu bleiben, doch quälte ihn die Frage, was das Projekt R-33 sein könnte. Er musste auch wissen, ob der kleine Mann ihm einen weiteren Treff vorschlug. Vielleicht stand auf der Rückseite eines Blatts noch etwas. Warum hatte er nicht nachgeschaut? Er spürte jetzt die Erschöpfung umso mehr, der Flug steckte ihm noch in den Knochen, die Angst auch und die Ungewissheit, ob er gleich am Anfang in eine Falle tappte, überehrgeizig, großkotzig, als wäre er James Bond. Projekt R-33, das klang wie etwas Geheimes. Oder wie ein Bluff, wie Spielmaterial, um den BND ir rezuführen. Vielleicht wollten sie Henri testen, und Henri hatte schon verloren, bevor er auch nur ahnte, um was es ging. Er kämpfte mit einem Gegner, der fast unbegrenzte Möglichkeiten und Mittel hatte, und für Henri war es zudem ein Auswärtsspiel. Solche Spiele kann man nicht gewinnen, zumal wenn der Schiedsrichter bestochen ist.
Sie hatte sich in die Sitzecke gesetzt, ihm blieb der zweite Sessel. Auf dem Tisch eine Thermoskanne, dazu Tassen, Zuckerdose, Milchkännchen.
»Haben Sie Ihren Genossen heute schon gefüttert?«
Er lachte. »Nein, das muss ich noch tun. Bestimmt wartet er schon. Das arme Viech, bei dem Wetter!«
»Russische Katzen …«
»Pardon, sowjetische.«
»Gut, gut, ich merke, Sie sind superkorrekt.« Sie grinste fast ein wenig dreckig, das gefiel ihm, er mochte freche Frauen, da war er anders als der Vater. »Aber ob es dazu passt, dass der arme Kollege Gebold hier herumgehechtet ist, mehrfach Ihr Zimmer inspiziert hat, aber abstreitet, Sie jemals gesucht zu haben?«
Henri fluchte innerlich. Er beschloss, Pullach zu drängen, den Mann so bald wie möglich abzuberufen. »Pressefritzen müssen flitzen. Überall sein und nirgendwo. Mich drängt es, alles kennenzulernen, ich möchte herausfinden, wie die Leute hier leben. Wie soll man in meinem Job arbeiten, ohne zu wissen, mit wem man es zu tun hat?« Schlagfertigkeit war eigentlich keine von Henris Stärken, aber die Kurve, so fand er, die hatte er elegant genommen.
»Interessante Theorie! In diesem Gebäude kennt die aber keiner.«
»Sie auch nicht?«
»Ich beginne mich gerade damit zu befassen. Ichgestehe, ich kenne Sehenswürdigkeiten, ein paar Kirchen, um vom Kreml und so weiter nicht zu sprechen. Den Arbat natürlich. Aber ich finde den russischen … Entschuldigung! … sowjetischen Alltag nicht so aufregend, um es ganz vorsichtig zu sagen. Grau in grau, ärmlich. Und die Leute sind so unfreundlich, wenn sie nicht gerade auf Devisen scharf sind. Vielleicht nehmen Sie mich mal mit auf eine Ihrer Forschungsreisen und öffnen mir die Augen.« Eine Stimme voller Ironie. »Was halten Sie davon?« Sehr offensiv.
Sie drehte ihren Kopf leicht, sodass er sie fast im Halbprofil sah. Wahrscheinlich wusste sie, dass sie so noch hübscher war, ihre Ohrringe, kurze silberne Kettchen mit je einer roten Perle daran, schwangen gegen ihre Kopfbewegung. Jetzt entdeckte er ihre langen Wimpern. Er begriff, dass sie sich langweilte, dass sie noch niemanden gefunden hatte, mit dem sie etwas unternehmen konnte. Es war eine Verlockung, aber eine gefährliche, denn Henri spürte, er würde viel zu tun bekommen, und irgendwann würden seine Lügen auffliegen, wenn er sich mit jemandem einließe. Dann würden die Fragen kommen: Wie war dein Tag? Wo hast du denn gesteckt? Und warum klappt es heute Abend nicht? Wer bist du? Doch zweifelte er, dass er ihr widerstehen könnte, wenn sie es darauf anlegte. Er war auch allein, und er brauchte jemanden, das gab er sich zu.
Er schwieg eine Weile, wie er es immer tat, wenn er in einem Dilemma steckte. Henri redete ohnehin wenig, er hasste Schwätzer, und wenn er sich an seine Kindheit erinnerte, hörte er die Stimme des Vaters. Nur der soll sprechen, der etwas zu sagen hat.
»Gerne. Wir machen mal eine Tour. Aber ich fürchte, Sie müssen die Führung übernehmen. Ich bin ja gerade erst angekommen.«
»Schön«, sagte sie. »Ich übernehme immer
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