Das Moskau-Spiel
gern die Führung.« Sie lachte hell. Sie war wirklich reizend imursprünglichen Sinn des Worts. »Am Wochenende, was meinen Sie?«
»Sehr gern«, sagte er und schaute ihr ein wenig zu lang in die Augen. Ihre strahlten.
Im Büro legte er die Blätter des Spions in eine Aktenmappe, die konnte er schnell zuklappen, wenn jemand eintrat. Das musste er auch gleich, denn Gebold stürmte herein, warf die Tür zu und setzte sich unaufgefordert auf den Besucherstuhl. Er schnaubte.
Henri lächelte überfreundlich und deutete mit dem Finger erst auf die Wand, dann aufs Ohr.
»Wo waren Sie denn? Wir hatten eine Abteilungskonferenz.«
Henri wiederholte die Zeichen. Gebold war einfach zu blöd für diesen Job. »Sie haben mich doch selbst in die Stadt geschickt«, sagte er für die Lauscher. »Haben Sie das schon vergessen?« Wieder zeigte er auf die Wand und aufs Ohr. Er kreuzte die Handgelenke und sagte: »Wollen wir nicht zu Alois gehen? Ich habe Hunger.« Er schaute zum Fenster hinaus, allein um Gebolds Gesicht nicht zu sehen, dessen Mimik und Farbe zwischen den Ausdrücken von Begriffsstutzigkeit und Wut wechselten.
Draußen herrschte längst die Finsternis, die sich auch durch spärliche Neonlaternen nicht weiter stören ließ. Immerhin ließ das Licht ein paar schwere Schneeflocken glitzern. Alles, was am Tag herabgeregnet war, würde in der Nacht frieren und Moskau mit einer Eisschicht bedecken.
Gebold schnaubte noch einmal, um seinen Unwillen zu unterstreichen, dann erhob er sich und sagte: »Gehen wir zu Alois.«
»Mit einem kleinen Umweg«, sagte Henri. »Jedenfalls für mich, ich komme dann nach.«
Das steigerte Gebolds Empörung fast gefährlich. Er schnaubte ein drittes Mal, diesmal wie ein Elefant, derein Löwenrudel vertreibt, und Henri überlegte, wie die Lauscher das interpretierten.
Als Gebold abgezogen war, fast trampelnd als Zeichen seines Protests, dankte Henri im Stillen dem KGB für die vermuteten Wanzen, die ihn vor einem so dummen wie wütenden Auftritt bewahrt hatten. Mit nichts konnte man den Vater mehr ärgern als mit dem Satz: Die meisten Dinge haben zwei Seiten. Aber dieses Ding hatte zwei Seiten. Danke, Genossen. Henri zog sich seinen Mantel an, der noch feucht war, präparierte in der Küche das Nachtmahl für Towaritsch, ließ sich Zeit beim Wärmen der Milch, schließlich wurde es wieder bitterkalt, und Gebold hatte die Gelegenheit, sich abzuregen oder noch mehr Wut anzustauen.
Aber Towaritsch wartete nicht. Henri hoffte, die Katze habe sich ins Warme verzogen oder woanders etwas zu fressen aufgetrieben. Er stellte die Tasse ab und ging zu Alois. Gebold saß in der Ecke und hatte es schon geschafft, ein Bier zu bestellen. Als sich der Kantinenmitarbeiter näherte, winkte Henri ab. Er hatte keine Lust, mit Gebold etwas zu essen. Ob er Angela fragen sollte? Eine gute Idee, hoffentlich war sie nachher noch im Büro.
»Sie können nicht einfach verschwinden«, sagte Gebold.
»Doch«, erwiderte Henri gelassen. »Ich kann es, das haben Sie doch gesehen.«
Gebold blies die Backen auf und ließ die Luft zischend austreten. »Ich habe eine Nachricht aus Pullach. Wir sollen mit den Amis zusammenarbeiten. Weisung von ganz oben. Genaueres später.«
»Aha«, sagte Henri. »Das entspricht nicht ganz den Gepflogenheiten.«
»Amtshilfe«, sagte Gebold. Es war ihm egal, und er zeigte es. Ein Grund mehr für Henri, seinen Ärger zu bremsen. »Die hatten wohl eine Serie von Pleiten, seitdem suchen sie den Kontakt. Morgen müssen wir hin.«
»Wohin?«
»Zur Botschaft der Hortensie.«
»Zu den Amis? Das wird ja eine Freude.«
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Der Botschafter musste unbedingt abgelöst werden. Während Mavick in seinem Büro auf die Gäste wartete, formulierte er im Kopf eine Notiz an Weatherstone in Langley, der seine Drähte glühen lassen musste, um den Schwätzer aus Moskau fortzujagen. Neue Zeiten brauchten neue Männer.
»Die Lage ist äußerst kritisch, gerade jetzt, wo ein neuer Generalsekretär inthronisiert werden soll. Seien Sie zurückhaltend, unternehmen Sie am besten nichts, was die Gegenseite auch nur im Entferntesten reizen könnte. Die sind ohnehin nahe am Gipfel der Paranoia.« So hatte der Botschafter geschwätzt, als gälte das Eiapopeia der Entspannungspolitik noch, diese Zeit der Feigheit und Selbstentmannung, in der man den Feind stark gemacht hatte und sich selbst schwach, vor allem weil man es zugelassen oder sogar gefördert hatte, dass die Welt unbedingt den Frieden um fast
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