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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Gerade in dieser Zeit setzt er darauf, uns mit einem Erstschlag zu enthaupten. Und seine Spione suchen immer neue Ziele für ihre Raketen. Das darf Ihnen nicht noch einmal passieren, verstanden?«
    Schlumejew nickte. »Ja, Genosse Major.«
    »Sie können gehen.« Dann sagte Eblow doch noch: »Sieht man einmal von dieser Sache ab, haben Sie Ihre Arbeit bisher gut gemacht. Ich werde auf einen Eintrag in Ihrer Personalakte verzichten. Aber Sie müssen künftig besser aufpassen. Wir alle müssen künftig besser aufpassen. Dazu brauchen wir solche Genossen wie Sie, aber nur, wenn Sie nicht nachlassen.« Eblow schaute dem Mann streng in die Augen. Dann winkte er ihn hinaus.
    »Ich diene der Sowjetunion.« Schlumejew grüßte militärisch, drehte sich um und marschierte fast demonstrativ korrekt hinaus.
    Als er draußen war, musste Eblow lachen. Natürlich, er konnte es sich vorstellen, dass einem ein ausgebuffter Agent mitten im Wolkenbruch davonlief. Aber er durfte es Schlumejew nicht durchgehen lassen. Eblow liebte gute Ideen und hasste Nachlässigkeit. Die Sowjetmacht hatte sie mit ihrem Vertrauen geehrt, und dieses Vertrauen mussten sie tagtäglich zurückgeben.
    Doch Eblow erkannte auch, dass viel schieflief in der Sowjetunion. Er hatte die Breschnew-Zeit als Niedergang erlebt, und die Berichte der Genossen aus den Betrieben und Verwaltungen verhießen nichts Gutes. Das hatte ihm ein Oberst aus der Zweiten Hauptverwaltung gesteckt, als sie sich einmal gemeinsam betrunken hatten. »Ich sag dir was, Kasimir Jewgonowitsch, das Einzige, was noch funktioniert in diesem Staat, sind die Rüstungsindustrie, die Raketenstreitkräfte und wir«, hatte er gesagt. Oberst Pjotr Malewitsch, ein Bär von einem Mann, den Eblow bei einem Ausbildungslehrgang kennengelernt hatte. »Die haben alles ruiniert.« Und sein Finger zeigte in die Richtung, in der er den Kreml vermutete. Aber Eblow hätte es auch ohne Zeigefinger verstanden. Ja, sie hatten nicht einmal genug zu essen, mussten Getreide beim Klassenfeind kaufen. Jedes Jahr diese Erniedrigung. Aber jetzt wuchs die Hoffnung, jetzt würde ein neuer Parteichef durchgreifen, den Schlendrian besiegen, die Verzagten aufrichten und die Nörgler zum Teufel jagen. Aber nur, wenn er Andropow hieße, ihr einstiger Chef, der Mann, der alles genau nahm, aber die Meinungen anderer achtete, dessen Verstand scharf war wie ein Messer, der das Gerede der Ideologen schwer ertrug. Aber wenn es Tschernenko würde, Breschnews Adlatus, der Mann ohne Ideen, um von guten nicht zu reden? Der Mann, der den greisen Breschnew gestützt hatte, nicht denjungen, den hatte Eblow geschätzt, weil er das Chaos der Chruschtschow-Jahre beendet hatte, nein, Tschernenko war der Mann, der so weitermachen würde, als wäre Breschnew nie gestorben. Tschernenko war geistig schon als Greis geboren worden, davon war Eblow überzeugt. Es würde gut gehen. Sie würden Andropow wählen. Alles andere wäre verrückt.
    Eblow ging ein paar Runden um seinen Schreibtisch herum, dann stellte er sich ans Fenster und schaute hinaus. Es regnete nicht mehr. Am Himmel kündigte sich neuer Niederschlag an, aber der würde als Schnee kommen. Eblow setzte sich und nahm vom Stapel an der Seite eine neue Akte, schlug sie auf und gähnte. Obenauf lag ein Foto dieses Kerls, den die Amerikaner nach Moskau geschickt hatten. Er war teuer gekleidet, perfekt frisiert, sein Gesichtsausdruck signalisierte Selbstsicherheit, ja Arroganz. Wahrscheinlich hielt sich dieser Craig Mavick für ein Ass. »Wir werden es sehen«, murmelte Eblow. »Bald schon.«
    › ‹
    Mavick war früh aufgestanden, war auf dem Botschaftsgelände dick eingemummt ein bisschen gelaufen, hatte geduscht, sich dann in der Kantine ein Müsli zubereitet und war in bester Stimmung, als er sich hinter seinen Schreibtisch setzte. Er hatte diesmal einen Maßanzug an, Kaschmir, dunkelgrau, dezent, handgefertigte schwarze Schuhe, eine dunkelblaue Seidenkrawatte über einem zart hellblauen Hemd, das ihm eine Versandfirma nach seinen Maßen geschneidert hatte. Craig Mavick beachtete den flachen Aktenstapel im Posteingangskorb im Regal nicht, das waren Formulare, die Neuankömmlinge ausfüllen mussten, eine dieser bürokratischen Prozeduren, die Mavick hasste und die seiner Meinung nach nur dazu dienten, Menschen Arbeit zu verschaffen, die sonst gerechterweise keine hätten.
    Bürokratien waren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zulasten des Steuerzahlers. Geldverschwendung hielt Mavick für die

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