Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
nach der anderen entzogen, und das zu genau dem Zeitpunkt, an dem die besten Köpfe am nötigsten gebraucht wurden. Und die neuen Republiken an Russlands Grenzen wurden auf fatale Weise geschwächt, weil sie ihre talentiertesten politischen und militärischen Führer verloren.
Die Mutter des toten Jungen kehrte – nunmehr in Begleitung ihres Mannes – ins Zimmer zurück. Wie seine Frau war auch Juri Woronow eher ein kümmerlicher Schatten seiner selbst als ein menschliches Wesen. Seine blutunterlaufenen Augen lagen tief in den Höhlen und seine Hände zitterten ununterbrochen. Die Kleidung, die nach getrocknetem Schweiß und Alkohol roch, schlotterte um seinen gebeugten Körper, der zusehends zu verfallen schien.
Als er Smith und Fiona sah, riss Woronow sich zusammen. Mit einem unsicheren Lächeln strich er sich über das schüttere, widerspenstige Haar und unternahm den herzzerreißend höflichen Versuch, diese beiden Fremden förmlich in seiner Wohnung willkommen zu heißen, indem ihnen anstelle einer hochprozentigen Stärkung etwas Tee anbot. Während seine Frau begann, in einem Kessel auf dem kleinen Herd das Wasser zu erhitzen, nahm er Jon und Fiona gegenüber Platz.
»Tatjana hat mir gesagt, dass Sie Wissenschaftler sind«, begann Woronow zögernd. »Bei den Vereinten Nationen? Und dass Sie die Krankheit erforschen, die uns unseren kleinen Sohn genommen hat?«
Smith nickte. »Das ist richtig, Herr Woronow. Falls möglich, würde ich Ihnen und Ihrer Frau gern einige Fragen über die Lebensumstände und die allgemeine Gesundheit Ihres Sohnes stellen. Die Antworten könnten uns helfen, diese Krankheit zu bekämpfen, ehe sie noch andere Kinder in anderen Teilen der Welt befällt.«
»Da «, antwortete sein Gegenüber schlicht. »Wir werden tun, was wir können.« Er musste einige Tränen verschlucken, ehe er fortfahren konnte. »Niemand soll so leiden müssen wie Mischka.«
»Danke«, sagte Smith leise.
Während Fiona alles genauestens mitschrieb, befragte Jon die beiden Russen ausgiebig über ihre eigene Krankengeschichte und die ihres Sohnes, wobei er versuchte, einen Ansatzpunkt zu finden, der Petrenko, Wedenskaja und den anderen entgangen sein mochte.
Die Eltern des Jungen gaben geduldig Auskunft, obwohl die meisten von Smiths Fragen ihnen schon ein dutzend Mal gestellt worden waren.
Ja, Michail hatte die Kinderkrankheiten gehabt, die in Russland üblich waren, Masern, Mumps und gelegentlich eine ganz normale Grippe. Meistens jedoch war er ein gesundes und fröhliches Kind gewesen. Seine Eltern hatten niemals illegale Drogen genommen, obwohl der Vater beschämt einräumte, »hin und wieder« zu viel zu trinken. Nein, niemand im engeren oder weiteren Familienkreis hatte eine ernsthafte chronische Krankheit – keine seltenen Krebsformen oder Geburtsfehler oder andere schwere Beeinträchtigungen. Ein Großvater war relativ jung gestorben, bei einem Traktorunfall in einer Kolchose. Doch die anderen Großeltern waren weit über siebzig geworden, ehe sie schließlich den üblichen, weit verbreiteten Altersleiden erlagen – einer Herzattacke, einem Schlaganfall und einer schweren Lungenentzündung.
Am Ende ließ Smith sich völlig frustriert in die Polster sinken. Bislang war ihm nichts aufgefallen, was erklären konnte, warum Michail Woronow sich die vormals unbekannte Krankheit zugezogen hatte, die ihn schließlich umgebracht hatte. Was verband diesen Jungen mit den anderen Menschen, die in Moskau erkrankt waren?
Jon legte die Stirn in Falten. Er hegte den starken Verdacht, dass die Antwort, falls es eine gab, irgendwie in ihrem genetischen Code oder ihrer Biochemie versteckt war. Um diese Theorie zu überprüfen, musste er DNA-, Blut- und Gewebeproben von den noch lebenden Familienangehörigen der Opfer bekommen. Außerdem brauchte er ungehinderten Zugang zu den hochentwickelten Forschungslaboratorien, die imstande waren, die nötigen Tests durchzuführen. Oleg Kirow war zwar überzeugt, alles, was sie sammelten, sicher in die Vereinigten Staaten schaffen zu können, doch das konnte dauern. Und diese Tests durchzuführen, würde ebenfalls Zeit kosten – Zeit, die sie vielleicht nicht hatten.
Smith seufzte. Wenn man nur noch eine Möglichkeit hat, sagte er sich, ergreift man sie besser beizeiten beim Schopf, und hofft, dass man damit Erfolg hat.
Zu seiner Erleichterung waren Michail Woronows Eltern beide bereit, ihm alle Proben zu geben, um die er sie bat. Irgendwie hatte er befürchtet, die
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